Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
wünschte, auch wenn er ihn sehr, sehr liebhatte. Seine Entspannung auf der Couch war ihm oft wichtiger, als mit seinem Sohn zu spielen, auch wenn er den Kleinen gern auf dem Schoß hatte – beim Fernsehen. Multimedia war ihm nach wie vor das Teuerste, und er steckte viel Geld in sein Hobby: Musikanlagen und DVDs. Außerdem rauchte er weiterhin, und das belastete unsere Haushaltskasse zusätzlich, schließlich bekam ich lediglich Erziehungsgeld.
Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wenn Markus mit mir über die Dinge gesprochen hätte, die ihn belasteten. Er redete aber nicht. Auf seinem Lieblingsplatz Couch konnte er wunderbar verdrängen. Auch, dass er eine Familie hatte. Und zwei Hunde, von denen er mindestens einen unbedingt gewollt hatte. Auf dem Sofa neigte er zur Wurzelbildung. Ich musste ihn fast rausprügeln: »Geh doch mal länger Gassi!«
Murrend machte er sich nach mehreren Aufforderungen auf die Socken. Er ging immer dieselbe Strecke mit den Hunden. Tim nahm er nicht mit, obwohl ich ihn so sehr bat. Markus fand es nicht chic, den Kinderwagen zu schieben. Auch die Bauchtrage kleidete ihn nicht so recht. Es war Sommer. Ich wollte, dass Tim an die frische Luft kommt, und stellte ihn in den Garten. Was blieb mir anderes übrig? Wie sollte ich gleichzeitig einen Kinderwagen und einen Rollstuhl schieben? Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Frei!
Auf der Reha-Messe in Düsseldorf entdeckte ich den sogenannten Trac einer Schweizer Firma, von dem ich bislang nur gelesen hatte. Das Wunderding war genauso toll, wie ich es mir vorgestellt hatte, und ich investierte den größten Teil meiner verbliebenen Versicherungssumme. Die kleine, leistungsstarke Zugmaschine, die ich im Handumdrehen am Rollstuhl an- oder abkuppeln kann, zieht mich nicht nur durch die Stadt, sondern auch über Stock und Stein. Für Tim, Marcky, Sita und mich begann ein neues Leben. Markus ließen wir auf der Couch zurück.
Mit dem rollstuhlgerechten Haus hatte ich mein Leben im inneren Bereich perfekt organisiert. Mit dem Trac eroberte ich nun die Umgebung. Ich setzte Tim in den Kindersitz, pfiff nach den Hunden und startete zu stundenlangen Touren. So, wie ich die Gegend als Kind mit dem Fahrrad erkundet hatte, machte ich es nun mit dem Trac. Es war herrlich! Dass ich überallhin gelangte, wohin ich wollte! Dass ich niemanden fragen musste »Kannst du mich mal bitte dorthin schieben?«, weil ein Weg zu holprig oder matschig war.
Manchmal sang ich vor Freude oder jauchzte. Und Tim jauchzte mit, und die Hunde wedelten wie verrückt. Der Trac ließ mich nie im Stich, viele Kilometer hält sein Akku. Im Gegensatz zu einem elektrisch betriebenen Rollstuhl ist er wendig und geländegängig, da ich ja nicht den Rollstuhl wechselte, sondern nur eine Zugmaschine an meinen ohnehin sportlichen Rollstuhl kuppelte. Für Tim war der Trac wie ein Kinderwagen. Je heftiger er auf wurzeligen Waldwegen durchgeschüttelt wurde, desto tiefer schlief er. Im Sommer spannte ich einen Sonnenschirm über uns auf. Ich war beladen wie ein kleiner Lkw mit all den Utensilien und dem Proviant für Tim, die Hunde und mich.
Für unsere Familie war der Trac der Schlüssel zur Freiheit. Auch für Markus, der nun ungestört seinen Hobbys nachgehen konnte. Eines Tages fiel mir auf, dass ich ihn unterwegs nicht vermisste. Ich sehnte mich nicht danach, diese Erlebnisse mit ihm zu teilen. Ich war glücklich mit mir, Tim und den Hunden. Das verwirrte und überraschte mich. Es ging also auch allein. Ich brauchte niemanden, damit es uns gutging, damit wir mobil waren. Es war alles eine Frage der Technik.
Chefallüren
Markus litt immer mehr unter seinem Job und verbreitete zu Hause nur noch schlechte Stimmung. Wenn er überhaupt etwas erzählte, so betraf das seinen inkompetenten Chef, der nicht begriff, wie gut Markus’ Ideen waren, und sie arrogant abschmetterte. Manchmal schaute ich tagsüber auf die Uhr und dachte: Nur noch zwei Stunden, dann kommt Markus. Ich freute mich nicht, und das erschreckte mich. Seine schlechte Laune war wie eine Wolke, die sich auf uns herabsenkte.
Als Markus wieder einmal lamentierte »Wenn ich doch keinen Chef mehr hätte, wenn ich doch mein eigener Chef wäre«, erwiderte ich: »Warum nicht? Was spricht dagegen?«
Kurz darauf fanden wir die Branche, in der Markus sich selbständig machen könnte. Ich erinnere mich nicht, wie es dazu kam, doch als wir es ausgesprochen hatten, lag es klar auf der Hand beziehungsweise auf dem Fuß.
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