Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Markus interessierte sich schon seit langem für Birkenstockschuhe – ein Geschäft für coole Gesundheitsschuhe gab es weit und breit nicht.
»Um Himmels willen!«, riefen meine Eltern.
Ich beschwichtigte sie: »Markus braucht eine Chance. Er hat in den letzten Jahren so oft Pech gehabt …«
»Pech nennst du das?«, fragte mein Vater.
»Ja, Vati, er hat wirklich viel Pech mit seinen Chefs gehabt und …«
»Chef ist Chef. Damit muss man klarkommen.«
»Ja, Vati, sicher. Aber vielleicht ist Markus auch ein Typ, der eben mit Chefs nicht so gut kann, und deshalb …«
»Das kann man lernen«, unterbrach er mich erneut.
Verdutzt starrte ich das Telefon an. So widerspruchslustig kannte ich meinen zurückhaltenden Vater kaum.
»Jedenfalls ist es einen Versuch wert. Wenn es nicht klappt, kann Markus ja wieder als Angestellter arbeiten, und wer weiß, vielleicht tut ihm so ein Ausflug in das Dasein als Chef ganz gut.«
»Hm«, machte mein Vater. »Wenn du meinst.«
Ich fand Markus’ Idee großartig – und nicht nur ich. In der Birkenstockzentrale in Vettelschoß stießen wir auf offene Ohren und wurden in unserem Vorhaben unterstützt, stylische und gesunde Schuhe zu verkaufen. So ein Konzept gab es nicht im Saarland. Markus hatte eine Marktlücke entdeckt. Und dann ging es Schlag auf Schlag. In Blieskastel mietete Markus ein Ladengeschäft; die Miete wurde von der Stadt gefördert, die Interesse an der Ansiedlung neuer Läden hatte. Markus’ Start in die Selbständigkeit wurde zudem vom Arbeitsamt unterstützt. Dennoch mussten wir einen kleinen Kredit für die Ladenausstattung aufnehmen. Ich stürzte mich mit Begeisterung in die Inneneinrichtung: welche Farben, welche Regale, wo soll die Theke stehen, wo die Couch für Kundengespräche?
Bei der Eröffnung waren alle begeistert. Der Laden war nicht nur gemütlich, sondern vom Angebot her erste Klasse – und obendrein richtig cool. Es sah so aus, als hätten Markus und ich im gemeinsamen Schaffen unsere Krise überwunden. Tagsüber kümmerte sich Markus um sein Geschäft – als gut gelaunter Verkäufer war er in seinem Element –, ich machte von zu Hause aus den Papierkram und die Rechnungen. Für mich war allerdings klar, dass ich das nicht langfristig übernehmen wollte, denn ich plante, bald ins Ministerium zurückzukehren, was unter finanziellen Aspekten auch vernünftig war.
Die Nummer eins: Tim
Ich hatte mir vorgenommen, ein Jahr Babypause einzulegen, und einen Krippenplatz für Tim beantragt. Dieser Krippenplatz war der erste seiner Art in unserem Kindergarten in Limbach. Mit meinem Sohn startete die erste Krippenkindergruppe, und das war mir sehr recht, da er in diesem Status viel Aufmerksamkeit erntete und ich meine Vorstellungen mit einfließen lassen konnte. Zwei Wochen, bevor ich meinen Dienst im Ministerium antrat, trainierten wir die Trennung von der Mama. Oder muss ich sagen: die Trennung vom Kind? Für mich war das kein leichter Schritt.
Ich werde das Kind schon schaukeln.
Tim war begeistert von so vielen Kindern, die ihn neugierig musterten. Doch er bot ihnen eindeutig zu wenig Unterhaltung – ein auf dem Rücken liegendes, großäugig staunendes Baby –, und schnell wandten sich die Kindergartenkinder interessanteren Dingen zu. Verabredet war, dass ich Tim morgens bringen würde, nach dem Mittagessen würde er ein Schläfchen machen, dann würde ich ihn holen – ich fing im Ministerium erst mal halbtags an. In den zwei Wochen Eingewöhnungszeit für Tim und mich wurde ich zu einem Teil des Kindergartens. Die Kinder behandelten mich, als gehörte ich dazu, und beanspruchten mich fleißig. Ich sollte sie spazieren fahren, vorlesen, mit ihnen spielen. So machten sie es mir leicht, mich von Tim zu lösen, der wie ein kleiner Prinz das Geschehen interessiert verfolgte. Für die Kinder war mein Rollstuhl kein Thema. Ganz am Anfang erklärte ich ihnen, dass ich nicht laufen kann, weil in meinem Rücken etwas kaputt ist. Wenn sie älter waren, fragte ich sie: »Weißt du, wo die Wirbelsäule ist?«
»Ja, klar weiß ich das«, antwortete die kleine Mira.
Ich fuhr mit meinen Fingern an ihrer Wirbelsäule entlang.
Sie kicherte: »Das kitzelt!«
Mira schloss ich ganz besonders ins Herz, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Dauernd bat sie mich um kleine Gefälligkeiten.
»Machst du mir bitte den Reißverschluss zu? Kannst du mir mal die Schuhe binden?«
Seltsam – es kam mir fast so vor, als wollte sie mit mir den
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