Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Ich frage mich das, was sich alle Mütter fragen: Wo ist die Zeit geblieben? Insofern freue ich mich darüber, es noch einmal gewagt zu haben mit so einem kleinen Zwerg. Bei meinem ersten Model-Auftritt nach der Geburt nahm ich Erik natürlich mit. Er war erst zwei Monate alt. Thomas kümmerte sich um ihn, und Tim posierte als Kinder-Model, wie er es sich gewünscht hatte. Anlässlich eines Foto-Shootings für das Tourismus Marketing Baden-Württemberg sprang er immer wieder hoch in die Luft. Wir stellten eine glückliche Familie dar. Tim, ich und ein männliches Model.
»Das ist nicht mein Papa«, sagte Tim zum Fotografen.
»Wir tun nur so als ob«, erklärte der augenzwinkernd, und Tim sprang noch höher ins Bild.
Und so ist mein Leben jetzt genau so, wie ich es mir als Mädchen gewünscht habe. Ich finde es gar nicht schlimm, Hausfrau und Mutter zu sein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es ein befristetes Dienstverhältnis ist, denn nach einem Jahr Babypause möchte ich wieder einsteigen, zuerst halbtags. Und aussteigen will ich auch. Aus dem weichen Mutterkissen, in das ich gebettet bin. Nach dem Abstillen steht erneut Punktezählen mit den Weight Watchers auf meinem Programm. Ich freue mich schon auf meine neuen Model-Aufträge und überhaupt: auf unsere Zukunft! Heute ist ein schöner Tag!
Manchmal komme ich mir vor wie meine Mutter. Ich gucke, dass alles nach Plan läuft. Die Geschichte wiederholt sich. Jetzt sage ich schon solche Sätze, die sonst nur die Älteren gesagt haben. Aber oft genug laufen die Dinge auch nicht nach Plan. Immer ist irgendwas. Die Heizung ist kaputt. Sita verstaucht sich den Knöchel und muss zum Tierarzt, das Auto in die Werkstatt. Thomas fährt zu einer Fortbildung, Erik hat Verstopfung und Tim Durchfall oder umgekehrt.
Manchmal sagt jemand zu mir: »Ich bewundere dich. Ich würde das nie im Leben schaffen.« Oder: »An deiner Stelle wäre ich nicht so fröhlich – also wenn ich im Rollstuhl sitzen würde …« Mit »würden« meinen sie »müssen«, und »sitzen« bedeutet für sie »gefesselt sein«. Das erkenne ich an ihren Blicken. Ich glaube, manche denken auch, dass sie gar nicht leben wollten, wenn ihnen zustieße, was mir geschehen ist. Nach dem Motto: Bevor ich das ertrage, dann lieber gar nicht.
Ich sage dann: »Das kannst du nicht wissen! Das weißt du erst, wenn du es erlebt hast. Und dann ist es garantiert anders, als du es dir vorstellst.«
Es ist immer anders, als man es sich vorstellt. Mein Leben ist schön und erfüllt. Obwohl ich mir das ganz bestimmt nicht hätte ausmalen können, als ich noch auf meinen eigenen Beinen durchs Leben lief.
Ich habe alles erreicht, was ich mir auf meinen Beinen stehend gewünscht habe. Auf Rädern ist mein Leben ins Rollen gekommen. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn plötzlich eine gute Fee erscheinen und mir verkünden würde: »Du kriegst dein Leben auf Beinen zurück im Tausch gegen das, was du dir aufgebaut hast …« Ich würde ablehnen. Nein danke, liebe Fee. Ich behalte gern alles so, wie es ist. Ich bin angekommen.
Happy End
Sonntagabend nach einem schönen Wochenende mit einem tollen Ausflug in die Burg Berwartstein sitze ich im Bett. In meinem linken Arm Erik, der nach dem Stillen schläft. Rechts Tim, der sein neues Holzschwert nicht loslässt. Wir gucken einen Zeichentrickfilm. Sonntagabend fällt die Gute-Nacht-Geschichte aus. Stattdessen gibt es Familienkuscheln.
Im Bad höre ich Thomas. Den Wasserhahn. Die elektrische Zahnbürste.
Erik atmet tief. Tim kichert. Thomas gurgelt. Ich grinse.
Thomas bleibt an der Tür stehen: »Hier fehlt noch einer.«
»Für den ist immer Platz.« Ich lupfe die Decke. »Tim, rück mal ein Stück rüber.«
»Nö«, macht Tim.
»Doch«, verlange ich.
»Nö«, wiederholt Tim und hebt sein Schwert.
Thomas packt das Kopfkissen und hält es sich wie ein Schild vor die Brust.
Tim überlegt kurz, schaut zum Fernseher.
»Na gut«, sagt er dann gnädig und rückt ein Stück zur Seite. »Ausnahmsweise.«
Thomas kuschelt sich an mich. Tim liegt halb auf mir, halb auf Thomas. Im Film jagt ein Oger einen Esel. Tim gähnt. Thomas streichelt meine Hand. Erik träumt etwas Phänomenales. Vielleicht von einem warmen Schluck süßer Milch? In seinem Gesicht geht eine Sonne auf. Und in meinem auch.
»Ich finde es schön«, sage ich zu Thomas, »dass wir so normal sind.«
Thomas nickt voll und ganz einverstanden und gibt Erik einen zarten Kuss.
»Normal ist … einfach
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