Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
möglich auf den Marktplatz, wo die Garde ihren ersten Auftritt der Saison – und meinen Führerschein – feierte.
Seit ich den Schein selbst in der Tasche hatte, fand ich nicht mehr, dass mein Vater der beste Autofahrer der Welt war, wie ich als Kind vermutet hatte. Ich bremste an Kreuzungen jedenfalls weicher und gefühlvoller als er, und wenn ich ein Kind gehabt hätte, wäre das bestimmt nicht nach vorne gekippt, sondern butterweich gewiegt.
Zu den Bayreuther Festspielen im Sommer 1999 begann ich meine Ausbildung zur Hotelfachfrau im Vier-Sterne-Schlosshotel Thiergarten. Wegen meines Abiturs war die Lehrzeit auf zwei Jahre verkürzt. Ich machte mir keine Gedanken, ob und was ich später studieren würde, ich wollte mich erst mal auf meine Ausbildung konzentrieren. Meine Mutter fand für mich in Bayreuth ein 15-Quadratmeter-Zimmerchen inklusive Bad, und ich mietete es. Was für ein Aufstieg! Jetzt hatte ich auch vier Sterne, mindestens, denn mein Zimmer zu Hause war bloß neun Quadratmeter groß.
Meine Eltern halfen mir beim Umzug. Alle meine Habseligkeiten passten in den Toyota und in meinem möblierten Zimmer in den Schrank. Ich fand es sehr gemütlich und konnte es kaum erwarten, mein Leben nun ganz allein zu managen. Selbst einkaufen. Selbst waschen. Selbst kochen. All das, was meine Mutter bislang für mich getan hatte. Ich freute mich riesig auf diesen neuen Lebensabschnitt und konnte mir nicht im Traum vorstellen, dass Wäschewaschen, Staubsaugen und Einkaufen schon bald kaum zu meisternde Herausforderungen für mich darstellen sollten.
In einem Möbelgeschäft in Bayreuth kauften wir ein Regal für meine Bücher und CDs.
»Lass stecken«, sagte mein Vater, als ich mein Erspartes zückte.
»Danke!«
»Dann haben wir ja jetzt alles erledigt und können essen gehen«, meinte meine Mutter.
»Sag mal, Mutti, was denkt ihr, wie lange ihr noch bleiben wollt?«, fragte ich.
»Warum?«
»Der Andi würde gern kommen, und deshalb wollte ich wissen, wann ihr nach Hause fahrt.«
Meine Mutter verdrehte die Augen: »Andi hier, Andi da, Andi, Andi, Andi!«
Von Teddybären und richtigen Männern
Mit Andi war ich seit einigen Monaten zusammen. Wir lernten uns über Ecken und Kanten kennen. Ich hatte einen Schwarm, mit dem es nicht klappte, der stellte mir seinen Kumpel Ralf vor, den ich in einer Disco zufällig wiedertraf. Wir gingen eine Weile miteinander. Ralf war befreundet mit Andi, und der lebte als Einziger aus meinem Bekanntenkreis in einer eigenen Wohnung. Klar hatte er oft die Bude voll. Als Ralfs Freundin war ich häufig mit von der »Party«, aber anstatt mit Ralf und den anderen Formel 1 zu gucken, was mich langweilte, stand ich bei Andi in der Küche. Andi kochte sehr gern und gut, und der Gesprächsstoff ging uns nie aus. Auch wenn wir Dart spielten oder in Kneipen hockten, zog es mich zu Andi. Als ich ihn kennenlernte, kleidete er sich am liebsten komplett in Weiß. Ihn mit einer Engelserscheinung zu vergleichen, wäre übertrieben, doch er hob sich von den anderen ab, und das gefiel mir.
Als ich mich von Ralf trennte, verlor ich dadurch auch den Kontakt zu Andi – bis wir uns eines Tages im Tivoli erneut über den Weg liefen. Wir freuten uns beide sehr und quatschten, bis das Tivoli schloss. Erst dann küssten wir uns. Von dieser Nacht an waren wir ein Paar.
Andi war groß, blond und muskulös – ein richtiger Mann. Er war sechs Jahre älter als ich und hatte eine dreijährige Tochter. Das machte mir zu schaffen. Ich wollte nicht, dass mein Freund Vater ist. Familiengründung wollte ich als Erstes mit ihm erleben, irgendwann einmal. Obwohl mir das Kind von Andi bei meiner eigenen Familienplanung nicht im Weg stand, haderte ich damit und hoffte inständig, ich würde das in den Griff kriegen. Man kann manche Sachen über Bord werfen – wenn man kann.
Meine ersten Nächte allein in Bayreuth waren nicht schön. Ich war so was nicht gewöhnt, allein in diesem Riesenzimmer. Niemand da. Niemand atmete nebenan. Ich hatte bisher noch nie mutterseelenallein irgendwo geschlafen. Immer war jemand Vertrautes in der Nähe gewesen. Ach, wäre das schön, wenn ich meine Mutti nachts zur Toilette tapsen hören könnte. Sie hatte in ihrer Studienzeit auch lange allein gelebt und drei Jahre auf meinen Vater gewartet, der bei der Armee diente. Drei Jahre! Das würde ich nicht aushalten!
Über die Einsamkeit half mir ein Plüschtier von Andi. Ein kleiner Bär mit blau-weiß gestreiftem Pullunder,
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