Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Kinderzimmers – und das freute mich auch noch! Als Andi vor der Tür stand, fielen wir uns in die Arme und ließen uns lange nicht los. Wie sehr hatte ich mich nach ihm gesehnt! Wie sehr hatte ich ihn vermisst! Die Stunden hatte ich gezählt, bis er endlich kommen würde … und das feierten wir leidenschaftlich.
Danach kochte Andi Spaghetti mit meiner Lieblinssauce. Ganz unkompliziert: Tomaten. Die hatte Andi gleich mitgebracht und Basilikum dazu. Ich lag im Bett und schaute ihm zu. Alles war perfekt. Ich war nicht mehr allein. Andi war da und kochte für uns. So sah Glück aus. Hin und wieder kam er zu mir, küsste mich, ließ mich einen Löffel von der Sauce probieren.
»Hm, lecker«, lobte ich.
Andi küsste mich.
»Hm, noch leckerer!«
Wir hatten uns so viel zu erzählen und so viel nachzuholen, dass wir erst im Morgengrauen einschliefen. Am nächsten Tag hatte ich frei. Andi war noch immer da und saß mir gegenüber am Frühstückstisch. Frisch geduscht, mit nacktem Oberkörper, und wenn er mir Tee nachschenkte, rundete sich sein Bizeps mit dem Tattoo. Seine blonden Haare standen gegelt nach oben. Ein bisschen wie Billy Idol sah er aus. Auf jeden Fall der Typ Rebell, groß und kräftig. Ich war hin und weg. Obwohl Andi cool aussah, war er ein sehr empfindsamer und liebevoller Mann. Er lachte gern und viel. Etwas Magisches ging von ihm aus. Und wenn er mich mit seinen viel zu blauen Augen anschaute, verwandelten sich meine Knie in Margarine an der Sonne.
Meine Eltern fanden Andi, den sie kaum kannten, nicht so toll, weil er mal hier und mal da jobbte, anstatt in seinem Beruf als Bäcker zu arbeiten. Mit seinen Jobs hatte er in letzter Zeit oft Pech gehabt und war meistens knapp bei Kasse, denn er war einfach zu gutmütig, was viele Leute ausnutzen.
Manchmal sagte er: »Noch mal passiert mir so was nicht.«
Und dann passierte es ihm doch wieder, dass er keinen Lohn bekam, und weil er zur Wendezeit eine Stereoanlage bei Quelle auf Kredit gekauft hatte, wurde es dann finanziell wirklich eng.
Andi hatte die Wendezeit ganz anders als ich erlebt. Ich war damals ein behütetes Kind, das den Verlockungen des Konsums nicht auf den Leim ging. Meine Eltern blieben auch nach der Wende sparsam. Wir hatten nach zehn Jahren Wartezeit gerade unseren grauen Trabi erhalten, und meinem Vater wäre es nicht in den Sinn gekommen, ihn sofort gegen ein Westauto zu tauschen. Die Wende fand bei uns nicht Knall auf Fall statt, sondern schleichend. Lange Zeit noch lief ich mit meinen DDR-T-Shirts herum. Auch in unserer Wohnung veränderten sich manche Dinge nur langsam. Erst nach Jahren schaffte mein Vater eine Stereoanlage an. Meine ersten Turnschuhe bekam ich schneller, das hätten meine Eltern nicht ausgehalten, mich so lange zu vertrösten!
Wir spurteten auch nicht zum Begrüßungsgeldabholen. Viele stopften sich sofort in den Zug nach Hof. Nie im Leben hätten meine Eltern das gemacht. Wir nahmen die einhundert Mark Begrüßungsgeld in Empfang, als wir unsere Verwandtschaft in West-Berlin besuchten. Mit mir als Pfand in der DDR waren meine Eltern einige Jahre zuvor schon einmal dort gewesen und hatten mir einen rosaroten Hula-Hoop-Reifen mitgebracht. Was für eine Attraktion!
Auch die Geschäfte veränderten sich eher zögerlich nach und nach. Das mag in Dresden und Karl-Marx-Stadt, das in Chemnitz umgetauft worden war, anders gewesen sein, doch wir kauften meistens in Freiberg ein. Meine Eltern freuten sich natürlich über den Fall der Mauer. Meine Mutter hatte mich nur aus dem Grund taufen lassen, um dem System eins auszuwischen. In der DDR war eine Taufe nicht so gern gesehen. Wenn meine Eltern auf die Montagsdemonstrationen gingen, passten meine beiden Großeltern-Paare im Wechsel auf mich auf. Meine Eltern erklärten mir, worum es bei den Demonstrationen ging. Für sie stand das freie Reisen im Vordergrund – und vor allem für meinen Opa mütterlicherseits.
»Wenn dann endlich mal diese Mauer weg ist! Dann sehen wir uns die Welt an, stimmt’s, Ilse?«
Oma Ilse nickte: »Ja, Manfred, das machen wir.«
Doch mit der Mauer fiel auch das Fernweh meines Opas. Er hat seine gewohnte Umgebung selten verlassen, denn worauf uns niemand vorbereitet hatte: Reisen kostete Geld.
Für mich war die größte Offenbarung nach dem Fall der Mauer das Fernsehen. Hin und wieder hatten wir zwar ARD oder ZDF empfangen, doch die Bilder kämpften sich wie durch dichtes Schneetreiben in den Osten. Nun saß ich bei klarer Sicht
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