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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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hatten uns jedoch bislang nur gegrüßt. Thomas war ziemlich aufgeregt, als er sich verabschiedete, um sich als Nikolaus zu verkleiden. Oder lag es gar an mir?
    »Wo ist der Thomas?«, fragte mich Tim.
    »Der musste zu einem Feuerwehreinsatz«, flunkerte ich. »Aber schau mal, da kommt der Nikolaus!«
    Und schon war Thomas vergessen.

    Nach dem ganzen Rummel hatte ich mir etwas Erholungsurlaub verdient und verbrachte Weihnachten in Freiberg bei meinen Eltern. Zum ersten Mal reiste ich auf Bitte meiner Eltern mit der Bahn. Sie stellten es sich zu anstrengend vor, wenn ich mit dem Auto fuhr – ich musste fahren, tanken, Pipi machen, Tim bei Laune halten und Sita auch mal Gassi führen. Zwischen Saarbrücken und Dresden gibt es eine Direktverbindung. Das klang wunderbar in meinen Ohren und übertönte meine letzten Zweifel.
    Einen Tag lang überlegte ich, was ich mitnehmen sollte. Schließlich bestand mein Gepäck aus dem Trac, einem Koffer und einem Riesenrucksack voller Spielsachen für die siebenstündige Zugfahrt. In letzter Sekunde hatte Lara, die schon oft und immer sehr gern als Hundesitterin eingesprungen war, Sita zu sich genommen. Ein Klassenkamerad brachte mich frühmorgens zum Zug nach Saarbrücken und half mir beim Einsteigen.
    Als behinderte Zugfahrerin darf ich eine Begleitperson kostenfrei mitnehmen. Später habe ich das auf manchen Fahrten auch genutzt. Bei diesem ersten Mal waren wir allein unterwegs. Es klappte recht gut. Wir bastelten, malten, und Tim erkundete den Zug, wobei mir ziemlich mulmig zumute war, denn mit dem Rollstuhl konnte ich mich in dem schmalen Gang nicht fortbewegen. Tim rannte hin und her und fand manche der Passagiere wesentlich interessanter als seine Mutter, die nicht ständig nach ihm rufen wollte. In einem Notfall wäre ich ihm niemals hinterhergekommen. Als Mutter im Rollstuhl muss ich Tim vertrauen. Es ist mir bewusst, dass ich ihn immer ein Stück weit gehen lassen muss. Ich kann ihn nicht an die Leine nehmen. Er selbst muss ein Gespür dafür entwickeln, was okay ist: »Tim, du weißt, dass ich dir nicht nachkomme, wenn du von mir weggehst. Wenn du hinfällst, musst du auch selber wieder aufstehen.«
    »Ich fall nicht hin.«
    »Ja, das hoffe ich auch.«
    »Und ich geh auch gar nicht weit weg, Mama.«
    Je älter Tim wurde, desto mutiger und selbstbewusster zeigte er sich. Das erfüllte mich einerseits mit Freude und Stolz, andererseits kostete es mich häufig Überwindung, ihn ziehen zu lassen. Denn es war mir ja bewusst, dass ich ihm in einer Notsituation nicht würde helfen können.
    Einmal spazierte ich mit meiner Freundin Helga und ihrem Sohn Leon im Wald herum, als Leon sich plötzlich umdrehte und losspurtete. Helga rief. Leon kam nicht. Helga brüllte. Leon kam nicht. Also lief Helga ihm nach, denn Leon rannte schnurstracks in Richtung Bundesstraße. Tim und ich guckten uns entgeistert an, und in den Augen meines Sohnes las ich, dass er solch eine Möglichkeit für sich noch nie in Betracht gezogen hatte. Und ich las noch etwas: »Mama, das würde ich nie machen!«
    Genauso zuverlässig verhielt Tim sich im Zug. Niemals verließ er das Abteil und kehrte immer wieder zurück zu mir. Die Heimfahrt von Freiberg nach Saarbrücken war wesentlich anstrengender. Ich hatte gehofft, Tim würde sie verschlafen, da wir erst kurz vor Mitternacht zu Hause ankamen, doch Tim war topfit. Erst fünf Kilometer vor Saarbrücken schlief er ein.
    Silvester feierte ich mit meinem Nachbar Mike und seiner Tochter Lisa. Mikes Frau Francesca hatte Dienst im Krankenhaus. Mit Lisa, sie ist drei Jahre älter als Tim, hatten wir in diesem Sommer viel Zeit verbracht. Ein bisschen war sie wie die große Schwester von Tim. Die beiden spielten sehr gern miteinander, und ich konnte gut lernen. Staunend erkannte ich, dass zwei Kinder weniger Aufmerksamkeit benötigen als ein Kind. Mal abgesehen davon, dass zwei Kinder noch mehr Spaß machten als eins. Ich speicherte das mal kommentarlos ab.

Der perfekte Mann
    Eines Tages traf ich Thomas’ Mutter beim Einkaufen. Karin freute sich riesig, mich und Tim zu sehen. Da fiel mir Thomas ein. Oje. Bei ihm hatte ich mich lange nicht gemeldet. Eigentlich hatte ich mich noch nie bei ihm gemeldet. Die Initiative zu unseren Treffen war stets von ihm ausgegangen.
    Am Abend rief ich ihn an.
    »Ich weiß, ich habe lange nichts von mir hören lassen, aber es ging ziemlich rund bei mir.«
    Er klang gekränkt: »Hm.«
    »Ja, und die Weihnachtstage habe ich bei meinen

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