Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Schule jagte eine Klausur die nächste. Ich holte Tim aus dem Kindergarten, da begegnete mir Thomas. Wir wechselten ein paar Worte, und als ich ihm von meinem Lernstress erzählte, bot er mir an, mit Sita Gassi zu gehen.
»Das würdest du tun?«
»Ja, das mach ich gerne.«
Eine Viertelstunde später holte er sie ab. Tim kränkelte ein wenig, ich brachte ihn ins Bett und widmete mich den Gesetzestexten. Thomas blieb lange fort. Als er mir Sita zurückbrachte, lud ich ihn wieder zum Spaghettiessen ein, weil ich wusste, dass er am liebsten Nudeln aß.
»Nein danke, ich will gleich los.«
»Jetzt stell dich doch nicht so an! Du warst ewig lange unterwegs.«
»Nein, nein, mach dir keine Umstände. Du musst doch lernen.«
»Jetzt hab ich erst mal Hunger. Also komm rein!«
»Dafür bin ich nicht angezogen.«
»Wie?« Entgeistert starrte ich ihn an.
»Ich bin dafür angezogen, mit einem Hund Gassi zu gehen, nicht dafür, eine Essenseinladung anzunehmen. Das ist mein schlimmster Gassigehpullover.«
Ich verkniff mir ein Grinsen.
»Zeig mal«, forderte ich ihn mit ernstem Gesichtsausdruck auf.
Thomas ratschte den Reißverschluss seiner Regenjacke nach unten.
»Hm«, machte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Der ist wirklich keine Schönheit. Aber weißt du was? Das ist mir egal. Und außerdem stehen dir die Farben gut.«
»Ich bin nicht dafür angezogen, reinzukommen«, wiederholte Thomas stur.
»Ich bin nicht an deinem Pullover interessiert, sondern daran, was drinsteckt«, wurde ich deutlicher, als mir lieb war.
Thomas grinste und zog seine Schuhe aus.
Ich kochte Spaghetti, Thomas half mir, wir blieben gleich neben dem Herd sitzen und unterhielten uns so gut wie noch nie. Auf einmal war alles ganz anders. Ich konnte nicht erklären, woran es lag, es war, als hätte Thomas sich komplett verändert – oder war es mein Blick, der sich verändert hatte? Oder lag es an diesem Pulli? Ein Schlabberpulli, am linken Ärmel hing sogar ein Faden raus. Thomas war unrasiert, und seine Haare waren ein klein wenig zerwühlt. Sonst war er immer glatt rasiert und trug eine militärisch akkurate Frisur. Normalerweise war Thomas perfekt. Heute sah er fast strubbelig aus. Er saß auch nicht stocksteif kerzengerade auf seinem Stuhl. Er fläzte. Er war nicht aus dem Ei gepellt, das Ei war geköpft und eine feine Spur Dotter rann über die Schale. Lecker! Wenn er lachte, musste ich einfach mitlachen, so ansteckend war das. Seine blauen Augen schauten mich warm und liebevoll an. Ich konnte es nicht fassen, aber ich fand ihn umwerfend. Und total süß. Da machte es klick.
Als Thomas sich verabschiedete, war ich aufgekratzt wie schon lange nicht mehr. Es war mir völlig klar, dass dieser Mann keinen Schritt auf mich zugehen würde. Wenn ich den haben wollte, musste ich aktiv werden. Und zwar energisch. Sonst würde er nämlich nicht kapieren, dass es klick gemacht hatte bei mir. Der Schalter war umgelegt. Ich liebte diesen Pullover!
Am nächsten Vormittag schrieb ich ihm eine SMS. Dass ich den Abend sehr schön gefunden habe und ihn gern wiederholen möchte. Thomas antwortete zuvorkommend, aber zurückhaltend. Offensichtlich lag der Pulli in der Wäsche.
Dann eben die hartnäckige Tour. Ich kochte ihn weich mit SMS. Gegen meinen Charme kam er nicht an. Er geriet ein wenig aus der Fassung, und hin und wieder fand sich ein Fusel auf seinem Hemd, ein Spritzer auf seinem Schuh, ein begeisterter Ausruf oder gar ein aus dem Zaum gebrochener Blick. Rein äußerlich betrachtet hielt er unsere nachbarschaftlich-freundschaftliche Beziehung aufrecht. Er half mir dabei, in meinem Schlafzimmer einen Vorhang anzubringen. Es gefiel mir, wie er Tim mit einbezog, den er zu seinem Gehilfen erklärte. Diensteifrig reichte Tim ihm einen Dübel nach dem anderen. Die Aktion endete in einer Kissenschlacht. Danach verabschiedete Thomas sich formvollendet.
»Der macht mich wahnsinnig!«, gestand ich Heike am Telefon. »Will er nicht? Kann er nicht? Oder begreift er nicht?«
Heike kicherte: »An dem beißt sogar du dir die Zähne aus.«
»Das werden wir sehen!«
Mein Jagdfieber war erwacht. Doch Thomas stellte mich auf eine harte Probe. Was ich bei ihm brauchte, war Geduld – und das ist nun mal nicht meine Stärke.
Julia und Florian, Thomas’ Freunde, luden uns zu einem Filmabend ein. Auf dem Sofa neben Thomas sitzend bettete ich meinen Kopf auf seine Schulter. Immerhin, er rückte nicht weg. Aber den Arm legte er auch nicht um
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