Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Eltern verbracht.«
»Hm.«
»Und du? Hattest du schöne Feiertage?«
»Sind ja auch schon wieder eine Weile rum.«
»Ja, ja. Das ist Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.«
»Ja.«
»Und wie geht’s dir so?«
»Kann nicht klagen.«
»Das freut mich.«
»Also ich hätte mich jetzt nicht mehr bei dir gemeldet«, wurde Thomas deutlich.
»Warum?«, fragte ich.
»Weil ich das öfter getan habe, und es kam nichts zurück.«
»Das tut mir leid, Thomas. Bitte nimm es nicht persönlich. Ich war wirklich total im Stress und brauchte Ruhe.«
»Darf ich dich mal zum Essen zu mir einladen?«, fragte er.
»Gern.«
Thomas’ Wohnung begeisterte mich, was Schnitt und Aussicht betraf. Sie war allerdings ein bisschen zu ordentlich für mich. Ich mag es lieber improvisiert, und mir ist eine zusammengeschusterte Ikea-Einrichtung lieber als die bürgerliche Schrankwand. Auch Thomas selbst machte einen ordentlichen, bürgerlichen Eindruck auf mich. Er schien perfekt organisiert zu sein. Ein Bügelfaltenmann. Könnte ich mit so einem Menschen zusammenleben, fragte ich mich. Denn natürlich spürte ich, dass er mich recht gern hatte. Nein, ich könnte es nicht, beschloss ich.
In seinem Schlafzimmer, das ebenso aufgeräumt war wie alle anderen Räume, standen ein Keyboard und eine Orgel. Thomas erklärte mir den Unterschied und spielte mir vor. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Es war sehr schön und ergreifend. Im Spielen veränderte Thomas sich. Sein Gesicht wurde weicher, ja, fast war es, als würde ein wenig Staub durch das Zimmer tanzen, und als Thomas zu spielen aufhörte, hatte die Bettdecke Falten bekommen, die Kissen lümmelten auf der Matratze, und auch auf dem Boden entdeckte ich einige Flusen.
In den nächsten Tagen dachte ich manchmal an Thomas. Mit ihm zusammen zu sein wäre perfekt für mich. Er war aufmerksam, rücksichtsvoll, rundum nett. Einer wie Ringo und noch mehr, denn seine Eltern wohnten nah bei mir und würden bestimmt einspringen, wenn ich mal Hilfe brauchte. Eigentlich wurde Thomas mir wie auf dem Silbertablett präsentiert. Es mochte sehr dumm von mir sein, doch ich wollte bloß mit Thomas befreundet sein, mehr nicht. Ich lud ihn zum Spaghettiessen ein, als Tim bei Markus war, und wir verbrachten einen gemütlichen Abend. Wir waren gerade mit dem Dessert fertig, da räusperte sich Thomas bedeutungsschwanger.
»Ich hab da was für dich. Eigentlich wollte ich es dir gar nicht geben.«
»Warum sagst du es dann?«
»Hm.«
»Hey, das ist gemein! Wenn du es ankündigst, will ich es auch wissen!«
Er lächelte: »Na ja. Okay.«
Dann griff er in seine Hosentasche und zog ein mehrfach gefaltetes Papier heraus. Er öffnete es umständlich, atmete schwer und begann vorzulesen. Es war ein Gedicht. Das er für mich geschrieben hatte! Kein Liebesgedicht, ein freundschaftlich gehaltenes Gedicht. Es haute mich trotzdem um, weil ich damit ganz bestimmt nicht gerechnet hatte, überhaupt hatte ich noch nie in meinem Leben ein Gedicht geschenkt gekommen.
Thomas legte das Blatt auf den Tisch.
»Wahnsinn«, hauchte ich. »Danke!«
»Eigentlich wollte ich es dir zu Weihnachten geben, aber du hast dich ja rar gemacht. Deshalb wollte ich es dir überhaupt nicht mehr zeigen«, erklärte er sein Zögern und schaute mich offen an. Ich las reine Freundschaft in seinem Blick und wurde nicht schlau aus ihm. Ein Gedicht für eine Freundin?
»Warum nicht?«, meinte Katrin, als ich ihr am Telefon davon erzählte. »Es gibt doch Leute, die schreiben gern Gedichte, und wenn du so jemanden kennst, kriegst du ständig Gedichte. Zu jedem Anlass, auch zum Namenstag deines Hamsters. Weißt du, solche können die Tinte nicht halten.«
Ich lachte mich schepps über diesen Satz und meinte: »Ja, vielleicht ist es so. Aber es ist wirklich ein sehr schönes und berührendes Gedicht.«
»Lies doch mal vor«, bat sie mich.
»Nicht am Telefon«, lehnte ich ab.
Von Thomas’ Eltern erfuhr ich im Nachhinein, dass Thomas zu dieser Zeit fast nur von mir gesprochen hatte. Ines ist, Ines hat, Ines will, Ines sagt. Thomas streitet das ab. Thomas sagt, er habe nicht den Eindruck gehabt, ich sei an einer über Freundschaft hinausgehenden Beziehung mit ihm interessiert gewesen, und damit hat er recht. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Er war mir zu unlocker. Zu perfekt. Es sprang kein Funke über.
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Es regnete seit Tagen, wenigstens kam mir das so vor. Auch ohne Presserummel hatte ich genug zu tun; in der
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