DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL: Roman (German Edition)
seinen Brustkorb durchbrechen würde. Jeden Augenblick, da war er sich sicher, konnte er bewusstlos zusammensacken. Wann war er das letzte Mal derart nervös gewesen? Wann hatte ihm eine Begegnung so viel Beherrschung abverlangt? Ob sie das Zittern in seiner Stimme bemerkt hatte?
Er stellte den Motor seines Vans ab. Zum zweiten Mal, denn an ein Losfahren war noch immer nicht zu denken. Jetzt hatte er schon fünf Minuten erfolglos versucht, sich zu beruhigen.
Er erwischte sich bei der Feststellung, dass sie genauso aussah, wie er sie sich vorgestellt hatte. Nicht nur, dass er sich in diesem Moment eingestand, überhaupt eine Vorstellung von ihr gehabt zu haben; er hatte in ihrer Anwesenheit auch dasselbe Vertrauen wahrgenommen, das ihre Briefe in ihm geweckt hatten.
Ob es ihr ähnlich ging? Die Art, wie sie ihn skeptisch, geradezu prüfend gemustert hatte, ließ ihn zweifeln. Er hatte den Eindruck, dass sie versucht hatte, sich an ihn zu erinnern, ohne zu ahnen, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war. Und auf welcher Grundlage sollte ein Vertrauen ihrerseits basieren, wenn sie nichts von der besonderen Bindung, nichts von dem Buch ahnte?
Wieder fragte er sich, wie er ihr das Ganze glaubwürdig vermitteln sollte. Wie konnte er ihr beweisen, dass er sie besser kannte, als sie ahnte? Oder war es vielleicht besser, das Buch gar nicht zu erwähnen? Der Gedanke an dunkelblaue Augen, die mit grünen Sprenkeln regelrecht aufzublitzen schienen, vertrieb die letzten Fragen aus seinem Kopf. Er würde keinen Plan schmieden, um sie zu überzeugen. Keine detaillierten Beweise liefern, um die Bindung zwischen ihnen zu untermauern. Wenn es eine Verbindung zwischen ihnen gab, würde sie sich auch so durchsetzen. Und umso ungezwungener er an das Treffen heranging, desto natürlicher würde es auch ablaufen.
Sein Blick wanderte erneut zum Schaufenster des Buchladens, der nur wenige Meter von seinem Parkplatz entfernt war. Grelles Licht ließ das Geschehen im Laden von außen wie eine eigene kleine Welt erscheinen. Und dann sah er sie, wie sie am Verkaufstresen ein Buch in Geschenkpapier einwickelte. Goldenes Band auf dunkelrotem Bogen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, und das akkurat zusammengebundene Haar zeichnete sich in dunklen Strähnen auf dem Pastellblau ihrer Bluse ab. Trotz der Tatsache, dass er sie nur von hinten sah, hatte er ihren Blick noch immer vor Augen. Die aufkeimende Ahnung, die gegen die Skepsis ankämpfte. Die Hoffnung, die sich immer wieder erfolglos gegen die Enttäuschung stemmte. Die Gewissheit, die sich nach all dem Schmerz nach der Naivität vergangener Tage zurücksehnte. Er kannte jede einzelne dieser Emotionen. Er kannte sie . Dessen war er sich sicher. Eigentlich brauchte es nicht mal eines Gesprächs, um sich dessen klar zu werden. Es war dasselbe Schicksal, das sie miteinander verband. Dieselbe Angst. Dieselbe Unfähigkeit, der Zukunft Platz in der Vergangenheit einzuräumen.
Er sah, wie Nita das verpackte Buch in eine Plastiktüte schob und dem Kunden lächelnd überreichte. Gleich würde sie sich umdrehen, vielleicht zum Fenster hinausschauen. Und wenn sie ihn trotz der anbrechenden Dämmerung sehen würde, wenn sie ihn hinter der Scheibe seines Vans erkennen könnte? Ganz sicher würde sie ihn für einen Stalker halten. Einen Fremden, dem nicht über den Weg zu trauen war. Kein viel versprechender Auftakt für ein Treffen am nächsten Morgen.
Er startete den Motor zum dritten Mal, warf einen letzten Blick über das Lenkrad in Richtung Schaufenster, hinter dem sich schemenhaft das Pastellblau in Richtung Tresen bewegte, und verließ den Parkplatz.
Kapitel 14
Es ärgerte sie, dass sie sich Gedanken über die passende Kleidung gemacht hatte. Welche Rolle spielte es, wie sie aussah oder welcher Farbton ihre Augen besser zur Geltung brachte? Warum war es nötig gewesen, ein Kleidungsstück aus dem Schrank zu nehmen, es wieder zurückzuhängen und nach einem neuen zu greifen?
Bis auf die Tatsache, dass sie ihre Partner beim selben Drama verloren hatten und mit Frau Jäger eine Bekannte teilten, wusste sie rein gar nichts über ihn. Er war ein Fremder, und es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass es ihr nicht gleichgültig war, welchen Eindruck sie - zumindest optisch - bei ihm hinterließ.
Sie entdeckte einen kleinen Kaffeefleck am Ärmel ihres mintgrünen Shirts, den sie missbilligend zur Kenntnis nahm. Eine weitere Emotion, die sie irritierte. Er war ein Fremder. Allerdings ein
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