DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL: Roman (German Edition)
betrifft: Nein, ich bin nicht glücklich. Auch nicht, wenn man die Floskel "den Umständen entsprechend" berücksichtigt. Ich bin es schon sehr lange nicht mehr. Das erreichbare Maximum an positiven Gefühlen ist Zufriedenheit. Und manchmal bin ich es wirklich: zufrieden. Zufrieden, wenn ich es ohne Beruhigungstablette in den Schlaf geschafft habe. Zufrieden, wenn ich der Handlung eines simplen Films bis zum Schluss folgen konnte, ohne meine Gedanken auf halber Strecke zu verlieren. Ich habe sie zu schätzen gelernt, die Zufriedenheit. Sie ist mein kleines Paradies, das ich bewahre, so gut ich kann.
Trotz allem verstehe ich noch immer nicht, was du dir von der Bekanntschaft mit mir erhoffst. Meinst du, dass es uns gelingt, uns von einem Schicksalsschlag abzulenken, wenn uns der jeweils andere umso mehr daran erinnert?
Ich bin müde. Und das schon so schrecklich lange.
Nita
*
Liebe Nita,
das Glück ist etwas, worüber ich selbst in der letzten Zeit sehr oft nachgedacht habe. Ich war glücklich mit Emma, kein Zweifel. Aber hat das Glück, das ich damals verspürte, überhaupt den Ansatz einer Chance, mit dem Glück mitzuhalten, das es bedeuten würde, wenn ich von einen Tag auf den anderen die Möglichkeit hätte, Emma zu mir zurückzuholen? Unser gemeinsames Leben dort fortzusetzen, wo es damals aufhörte?
Oder anders formuliert: Ist man sich, wenn man mit beiden Beinen im Glück steht, der Tatsache, dass man glücklich ist (oder es sein sollte), wirklich immer bewusst?
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals den Arm um Emma gelegt und dabei gesagt (oder gedacht) zu haben: Ja, das ist wahres Glück! Ganz einfach, weil man solche Dinge nicht tut. Zumindest nicht so oft, wie man es sollte. Nur leider wird man sich dieser Tatsache immer erst dann bewusst, wenn es zu spät ist. Ich beneide die Menschen, die durch eine geheilte Krankheit oder einen überlebten Unfall die Flüchtigkeit des Glücks vor Augen geführt bekommen, bevor es endgültig vergangen ist. Diese Menschen haben die Chance, sich ihres Glücks wirklich bewusst zu werden. Aber was ist mit denen, denen die Augen erst dann geöffnet werden, wenn es bereits zu spät ist?
Ich will nicht behaupten, dass ich damals nicht glücklich war. Ich war glücklich. Sehr sogar. Aber ich habe es mir niemals wirklich vor Augen geführt. Ich war stolz darauf, eine Frau wie Emma an meiner Seite zu haben. Sie war so ein herzensguter Mensch. Habe ich erwähnt, dass sie Lehrerin war? Die Kinder haben sie geliebt, und nicht selten brachte sie einen selbstgebackenen Kuchen aus der Schule mit nach Hause, den ihr eine dankbare Mutter geschenkt hatte, oder Bilder, die Schüler für sie gemalt hatten. Jeder mochte Emma. Jeder war gerne in ihrer Nähe. Sie war so geduldig und gab jedem Menschen das Gefühl, für den Moment die wichtigste Person zu sein.
Doch auch wenn ich stolz auf Emma war und darauf, der Mann an ihrer Seite sein zu dürfen, habe ich viel zu viel Zeit damit vergeudet, unsere gemeinsamen Tage unbewusst zu leben. In der Erinnerung werden Menschen oft zu regelrechten Engeln der Gutherzigkeit, zu den perfekten Säulen unserer Sehnsucht. Und diese Eigenschaften passen sicher zu keinem anderen Menschen besser als zu Emma. Trotzdem bereue ich, nicht jeden Moment mit ihr so gelebt zu haben, wie ich ihn hätte leben müssen.
Ich habe es gehasst, wenn sie jedes meiner Worte auseinandernahm und auf die Goldwaage legte. Ich habe es gehasst, wenn sie meinen Blick inspizierte und versuchte, irgendetwas zu deuten, das sich auf sie beziehen könnte, obwohl ich einfach nur konzentriert dem Fußballspiel im Fernsehen folgte. Ich habe es gehasst, wenn sie Paprika in die Soße tat, obwohl sie genau wusste, dass ich das nicht mag. Und ich habe es gehasst, wenn sie den brauen Pullover trug, obwohl ich sie immer damit aufzog, dass es eine Großmutterfarbe sei.
Heute würde ich alles dafür tun, um nur ein einziges meiner Worte von ihr auseinandernehmen zu lassen, ein Stück Paprika aus der Soße zu fischen, die sie gemacht hat, oder den Pullover an ihr zu sehen, den sie so geliebt hat.
Ich habe sie geliebt. Ja. Über alles. Und ich war mir dieser Tatsache immer bewusst. Aber hätte ich es ihr nicht viel deutlicher zeigen müssen? Hätte ich nicht jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde mit ihr viel bewusster leben müssen? Ist nicht jeder Moment, in dem ich ihr nicht meine hundertprozentige Aufmerksamkeit geschenkt habe, eine Sünde?
Das Schlimmste ist jedoch der immer
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