Das Glück ist eine Katze
den Umgang mit Katzen, glaube ich den stillen Dichter, der mit spektakulären, gewaltigen,
gewalttätigen Erscheinungen so wenig am Hut hat, besser zu verstehen. Nicht das große Gedöns bringt uns voran, sagt er, weder
in der äußeren noch in der inneren, menschlichen Natur, nicht Gewitter und Sturm, nicht der Ausbruch glühender Lava, nicht
die große Heldentat, der furchtbar einherrollende Zorn, der entzündete Geist, sondern ganz was anderes: der freundliche sanfte
Nieselregen, das Wehen der Luft, das Wachsen des Getreides, die leisen, gewöhnlichen, unspektakulären, immer wiederkehrenden
Ereignisse und Handlungen wie Zähneputzen, Knöpfe annähen, Katzenschüsselchen saubermachen, Radieschen stupfen. Nichts Umwerfendes
also, eben das, was er
Das sanfte Gesetz
nennt. Danach sollten wir leben, damit doch noch was Rechtes aus uns wird.
Aber was tut der Mensch, der Grobsack, mit Vorliebe? Er gibt Gas, brüllt herum, haut drauf, rennt von
Event
zu
Event
und wummt durch die |259| Gegend. Die Katzen bei ihren nächtlichen Versammlungen tun genau das Gegenteil.
Und jetzt kommt’s: Wenn, wie die Chaosforscher behaupten, schon der Flügelschlag eines Schmetterlings die Welt verändern kann,
wieviel folgenschwerer muß dann erst sein, was die Katzen bewirken, wenn sie, an Stifter denkend oder auch nicht, immer wieder
nächtlich in magischen Kreisen in sich ruhend beieinanderhocken, sanft und freundlich schnurren und mit umgeknickten Vorderpfoten
anmutig Müffchen machen.
Mit Menschenaugen gesehen ist das ein höchst banales Tun, dem alles Großartige fehlt. Aber gerade dadurch, glaube ich, halten
die Katzen unsere Welt zusammen, sorgen sie dafür, daß unsere liebe Erde sich weiterdreht und daß wir auf ihr wandeln dürfen.
Was kein Politiker hinkriegen würde. Solche Leute gebrauchen ihre Ellbogen für andere, weniger anmutige Tätigkeiten als Müffchenmachen,
sie brächten es auch gar nicht hin, und wer hat schon einen von ihnen schnurren hören?
Dies ist eine sehr einleuchtende, jedenfalls mich zutiefst überzeugende Erklärung der nächtlichen Katzenversammlungen, auf
die vor mir bestimmt noch keiner gekommen ist und die ich dem undynamischen wunderbaren Dichter Adalbert Stifter verdanke.
Zufrieden ging ich unter.
|260| Danke, Franz!
»Schlumpel!« rief ich »Komm heim!«
Schlumpel kam nicht heim.
»Reg dich bloß nicht auf«, sagte Konrad.
»Aber sie war die ganze Nacht weg, und heut hab ich sie den ganzen Tag über nicht gesehen.«
»Ich war zwei Wochen lang weg«, sagte Konrad. »Hast du alle naslang ›Konrad, komm heim!‹ gerufen?«
»Wo du steckst, hab ich gewußt. Wo Schlumpel steckt, weiß ich nicht.«
»Die wird schon kommen. Hast du was dagegen, wenn ich die Musik etwas lauter stelle?« Er hörte gerade den ersten Satz aus
Beethovens Pastorale:
Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande.
Den hört er immer, wenn er für ein paar Tage zu uns aufs Land kommt.
»Hast du vorhin schon gesagt«, knurrte ich.
»Was sagst du?«
»Daß du vorhin schon gesagt hast, daß sie schon kommen wird«, brüllte ich. »Dir fällt auch nix Neues ein.«
|261| Schlumpel kam aber nicht.
In mir erwachten keine heiteren ländlichen Gefühle.
»Nun renn doch nicht dauernd hinaus«, sagte Konrad. »Das macht mich ganz nervös.«
»Ich will nur nach den Schnecken schauen.«
»Willst du nicht. Du schaust nach dieser Katze.«
»Diese Katze«, sagte ich, »ist meine liebe Schlumpel. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag und eine zweite Nacht ist sie
schon fort.«
»Sie ist auch meine liebe Schlumpel.«
»Aber meine mehr.«
»Die kommt bald. Wirst schon sehen.«
Ich lief hinaus, doch ich sah nichts. Nur Schnecken, diese aber reichlich.
»Schlumpel«, sagte Konrad abends, »treibt sich irgendwo herum, wo’s interessanter ist als hier. So ein junges Ding braucht
Unterhaltung. Draußen tobt das Leben. Sie hockt vor einem Mausloch. Oder wälzt sich vor einem Kater im Staub, und wenn er
zupackt, verdrischt sie ihn. Klettert Bäume rauf und runter. Oder sie liegt irgendwo im Heu und pennt.«
Ich sah das schwärzer. »Ein Hund hat sie zerfleischt, ein Jäger erschossen, perverses Pack, diese |262| Jäger, zutiefst unmoralisch. Ein Auto hat sie totgefahren. Seit Jahren lieg ich dem Bürgermeister in den Ohren, Tempo dreißig
sei genug im Ort. Seit Jahren sagt er mir, man könne den Leuten nicht jeden Spaß verderben. Jemand hat sie in der Garage
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