Das Glück mit dir (German Edition)

schwarzbraun. Und weiß, fügt Alice hinzu, bevor sie die Augen schließt.
    Es ist schwierig, sich deine Mutter als junge Frau in Ouro Preto vorzustellen, sagt Nina auf dem Heimweg im Auto.
    In Wahrheit fällt es ihr leicht.
    Alice in einem weiten Rock und einer bestickten Bauernbluse; sie trägt Sandalen; das dunkle Haar reicht ihr bis zur Hüfte. Hand in Hand geht sie mit Francis durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Stadt, der Hund zerrt an der Leine. Wenn sie die Hügel über der Stadt erreicht haben, sitzen sie eine Weile unter einem Baum. Vielleicht lieben sie sich auch: Francis hebt Alices weiten Rock, während Kilo aufgeregt bellend um sie herumspringt. Allerdings kann man sich Francis, einen sehr förmlichen, höflichen Mann, nur schwer beim Sex vorstellen.
    Worüber lächelst du?, fragt Philip und dreht den Kopf, um sie anzuschauen.
    Ach, nichts.
    Warum, fragt sie sich, muss ich mir bloß immer vorstellen, wie die Leute miteinander schlafen?
    Philip spricht nur selten über seine Eltern. Nicht aus Abneigung, sondern aus einer Art von pudeur – Verschwiegenheit. Auch seine Eltern waren schon verschwiegen und zurückhaltend. Sie wurden kaum jemals laut und nur selten richtig wütend. In ihrer Gegenwart kam sich Nina immer zu ungestüm und aufdringlich vor, zu unernst auch, obwohl sie all dies eigentlich nicht ist.
    Francis, Philips Vater, war Anthropologe. Wie Philip war er groß und schlank, trug aber einen buschigen weißen Schnurrbart, der seine Oberlippe verbarg. Ein paar Monate lang, während sie in Berkeley lebten, ließ sich Philip einen Schnurrbart stehen.
    Reine Neugier. Ich will nur mal wissen, wie das so ist. Keine Sorge, ich rasiere ihn bald wieder ab, verspricht er Nina. Und lässt es dann sein.
    Das fühlt sich komisch an, wenn du mich küsst. Und das Essen bleibt darin hängen, das ist unhygienisch, sagt Nina.
    Ihrer Meinung nach hat er sich den Schnurrbart stehen lassen, um sie zu ärgern.
    Außerdem hat er die Angewohnheit entwickelt, sich über den Bart zu streichen.
    Das sieht komisch aus, sagt ihm Louise, und es ist mir peinlich vor meinen Freunden. Sie, nicht Nina, bringt Philip dazu, sich den Bart wieder abzurasieren.
    Was soll sie Alice jetzt erzählen?
    Nina versucht sich zu erinnern, wie lange es her ist, dass Philips Bruder gestorben ist. Fünf, sechs Jahre, vielleicht sieben. Es ist ihr entfallen. Der arme Harold. Ein kleines, fröhliches Kerlchen, irgendwie aus der Art geschlagen, machte er gern Witze hinter dem Rücken seines Vaters. Harold hat zweimal dieselbe Frau geheiratet und sich wieder von ihr scheiden lassen, was ihn noch mehr zur Witzfigur machte.
    Wie oft passiert denn so was?, fragt sich Nina.
    Öfter, als du denkst, sagt Philip.
    Dazu muss man wirklich ein Optimist sein.
    Oder an Gedächtnisverlust leiden.
    Harold arbeitete als Navigator für eine Fluggesellschaft, er flog kreuz und quer durchs Land, bis er eines Tages gefeuert wurde. Harold trank zu viel und starb an Leberzirrhose. Bei der Hochzeit von Philip und Nina wurde er ohnmächtig, und eine ihrer Brautjungfern fand ihn auf dem feuchten Rasen liegend, auf dem Rücken, mit offenem Hosenlatz und entblößtem Pimmel.
    Nina schenkt sich noch Wein ein.
    Die meisten mathematischen Funktionen, erklärt ihr Philip, werden als Zweiwegfunktionen bezeichnet, weil man sie leicht umkehren kann – Addition und Subtraktion zum Beispiel. Das Licht einschalten oder ausschalten ist zum Beispiel eine Zweiwegfunktion. Eine Einwegfunktion ist komplizierter, denn obwohl sie einfach aufzustellen sein mag, kann man sie nicht umkehren. Wenn man beispielsweise Farben mischt, kann man sie nicht mehr trennen, und wenn man ein Ei aufschlägt, lässt sich die Schale nicht mehr zusammensetzen.
    Oder wenn man eine Flasche Champagner öffnet – jetzt hört Nina ausnahmsweise einmal zu – dann kriegt man den Korken nicht mehr in die Flasche. Oder wenn man ein Kind bekommt.
    Philips Flug von Miami ist wegen des Schneesturms gecancelt worden. Er muss mehrere Stunden warten, bis die Startbahnen des Logan Airport geräumt sind. Dann erst kann er nach Hause fliegen.
    Ich war völlig verzweifelt. Ich konnte nicht stillsitzen oder lesen, erzählt er Nina, als er, den Mantel falsch geknöpft, im Krankenhaus ankommt. Ich wusste, dass mit euch beiden alles in Ordnung ist, aber ich wollte bei euch sein. Ich wollte sie sofort sehen.
    Er hält die einen Tag alte Louise in seinen Armen. Tränen schimmern in seinen Augen.
    Sie berührt Philips