Das Glück mit dir (German Edition)
ruft Philip.
Er kommt steuerbord vorbei, sagt er außerdem.
Sie liegt am Bug flach auf dem Bootsdeck, den Bootshaken in der Hand, und beugt sich so weit hinaus, wie sie sich traut, sieht den roten Hut, der im Wasser auf und ab tanzt, näher kommen und ist fest entschlossen, ihn herauszuangeln – und wenn sie dabei über Bord geht.
Ausgeblichen, das Stroh an der Krempe gebrochen und zerfranst, hängt der rote Hut in ihrem Atelier an einem Nagel. Daneben hängt ihr Bild, auf dem er im Wassertreibt. In Kohle hat sie darunter zwischen die Wellen gekritzelt: el sombrero cayó en el agua .
Ein Witz.
Laut ihrer Mutter waren el sombrero cayó en el agua die ersten Worte, die Nina als Kind auf Spanisch sprechen lernte.
Sombrrrerrro – wiederholt sie zu sich selbst und rollt die Rs.
Warum?, fragt sie sich.
Ist ihr Hut ins Wasser gefallen?
Oder war es der Hut ihrer Zwillingsschwester Linda?
Padre nuestro, que estás en los cielos …
Irgendwann einmal konnte sie das Vaterunser auf Spanisch aufsagen.
Später lernt sie es auf Französisch:
Notre Père, qui es aux cieux …
Sie ist ein abergläubisches Kind, sie tritt niemals auf die Fugen, aber sie glaubt nicht an Gott.
Jetzt ist sie sich nicht mehr sicher.
Vater unser, der du bist …
Sie sollte eine Münze werfen.
Kopf? Gott existiert.
Zahl? Er existiert nicht.
Sie hätte nicht so viel Wein trinken sollen.
Philip glaubt, dass das Universum einen Anfang hat. Einst gab es nichts, und jetzt gibt es ganz viel. Aber, sagt er, das hat nichts mit Gott zu tun.
Was meinst du damit, dass nichts war?, fragt Nina.
Ich meine einfach nichts.
Luft? Raum?
Nein. Nichts.
Das kann ich mir nicht vorstellen.
Niemand kann das.
Sie schließt die Augen.
Das Nichts ist wie nicht existieren.
Wie der Tod.
Aber was ist, wenn Gott den Urknall erschaffen hat? Was ist, wenn Gott dafür gesorgt hat, dass das Universum sich selbst erschafft? Nina fragt bloß, um ihn zum Widerspruch zu reizen.
Das würde den Leuten passen, die an die biblische Schöpfungsgeschichte glauben. Gibt mir noch einen Crêpe, bitte, und die Marmelade. Nicht apricot , die andere, sagt Philip.
Myrtille .
Sie und Philip sind die letzten im Frühstücksraum. Eine Kellnerin räumt das Geschirr von den anderen Tischen ab und stapelt es geräuschvoll auf einem Tablett.
Encore deux cafés, s’il vous plaît , ruft Philip.
Sie will, dass wir gehen, sagt Nina nervös und streift die Kellnerin mit einem Blick.
Am Tag davor nehmen sie den Zug von Paris nach Brest, und von Brest den Bus nach Ploudalmézeau, wo sie Fahrräder leihen. Von da fahren sie im strömendenRegen die dreizehn Kilometer bis zu dem Dorf Tréglonou.
Ich bin klatschnass, beklagt sich Nina, als sie einmal am Straßenrand anhalten, damit Philip auf die Karte schauen kann.
Wir müssen die Abzweigung verpasst haben, sagt er.
Fragen wir doch jemanden, schlägt Nina vor, als ein Auto vorbeifährt.
Ich weiß, wo wir sind. Es kann bloß ein paar hundert Meter zurück sein. Lass uns umkehren.
Sie fahren über schmale Straßen, die von nassen grünen Wiesen gesäumt sind, auf denen sich Pferde und Kühe im Regen aneinanderdrängen. Warte, warte doch, jammert Nina, die hinter Philip herradelt, leise vor sich hin. Sie trägt einen langen Rock und der Saum verfängt sich in den Speichen, zweimal wäre sie schon beinahe gestürzt. Philip scheint es gar nicht zu bemerken.
Im Dorf Plouvien hält Nina an, um sich den Rock hochzubinden. Auf der anderen Seite der Straße schließt ein Priester in langer schwarzer Soutane gerade die Kirchentür zu, wendet sich um und öffnet seinen großen schwarzen Regenschirm. Als er Nina mit ihrem Fahrrad am Straßenrand erblickt, kommt er herüber und fragt sie, ob sie Hilfe braucht.
Es regnet immer noch an diesem Morgen.
Aber du hast doch gesagt, du glaubst an Gott, sagt Nina.
Ich glaube an einen liberalen Gott. Einen Gott, der Raum für freien Willen lässt, sagt Philip gähnend. Ich würde am liebsten wieder ins Bett gehen, sagt er außerdem, nimmt Ninas Hand und führt sie an die Lippen.
Nina lächelt. Willst du damit sagen, dass Gott nicht in die Zukunft sehen kann?
Lass mich eine andere Möglichkeit beschreiben, sagt Philip und schiebt die Teller auf dem Tisch hin und her, während die Kellnerin ihnen mit finsterem Gesicht neuen Kaffee bringt.
Merci, Madame , sagt Nina.
Nehmen wir an, ich bestelle zweimal Frühstück. Dieses hier, er zeigt auf den Teller, ist ein klassisches Frühstück: Crêpe mit
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