Das Gluecksarmband
gesagt, dass er sie nicht stören darf, weil Sie beschäftigt sind. Entschuldigen Sie bitte. Soll ich den Sicherheitsdienst rufen?»
Greg verdrehte die Augen und hob die Hand. «Nicht nötig. Es dauert nur eine Minute.»
In dem Versuch, Herr der Lage zu werden, streckte Dave die Brust raus. «Ich habe nicht mal eine Minute Zeit. Was machen Sie überhaupt hier? Sehen Sie nicht, was da draußen los ist? Das reine Chaos! An die Arbeit, Mann!» Er deutete auf das Großraumbüro, als hätte er die Situation die ganze Zeit mitverfolgt und nicht gerade eben erst bemerkt.
Greg schüttelte den Kopf. «Nein.»
Seinem Chef sprangen fast die Augen aus dem Kopf. «Nein? Nein? Ich sage Ihnen jetzt, was Sie zu tun haben, und zwar sofort –»
«Nein», entgegnete Greg gelassen. «Ich sage Ihnen jetzt sofort, was ich tun werde. Ich kündige nämlich.» Er lächelte über Claudias erschrockenes Gesicht.
«Sie halten es nicht mehr aus, was?», meinte Dave seelenruhig. Der Chef war berüchtigt für seine plötzlichen Stimmungswechsel. Als er Claudia kurz zunickte, begriff sie und verließ den Raum.
Greg nickte. «Genau.»
In aller Ruhe nahm Dave sich eine Zigarre, zündete sie an und blies den Rauch zur Decke hinauf. Den Rauchmelder hatte er schon vor Jahren abmontiert, das wusste Greg. Sein Chef hielt nicht viel von Vorschriften, und vermutlich hatte er es gerade deshalb so weit gebracht. «Muss ja zugeben, dass ich Sie beneide.»
«Wieso?» Greg war überrascht. «Wollen Sie auch raus?»
Dave schlug mit den flachen Händen auf den Schreibtisch. «Nee, ich liebe diesen Job. Gefährlich, nie vorhersehbar … das macht süchtig. Aber es wäre trotzdem schön zu wissen, dass ich niemanden ruinieren würde, falls ich das Ganze mal hinschmeißen sollte.»
Greg nickte. «Ja, Frau und Kinder …»
Dave kaute heftig auf seiner Zigarre und machte eine Handbewegung. «Und die Geliebte und deren Kinder, und meine Schwester, die es in keinem Job aushält, und meine Schwiegermutter, die ständig irgendwo operiert werden muss, und …» Er hielt inne und grinste über Gregs verblüfftes Gesicht. «Na, was überrascht Sie da so? Die Geliebte oder die Tatsache, dass ich meine Schwiegermutter ernähre?»
«Vielleicht … beides?», stammelte Greg.
Dave nickte zufrieden. «Sie sind ohnehin zu nett für diesen Job. Gehen Sie nur, werden Sie Fotograf oder Künstler oder wie Sie das heutzutage nennen wollen.» Er stand auf und versetzte Greg einen kräftigen Schlag auf den Rücken. «Aber was Sie auch machen, heiraten Sie nicht – die Weiber sind alle Blutsauger, lassen Sie sich das gesagt sein.»
«Ähm, danke.» Greg schwirrte der Kopf, weil alles so unerwartet reibungslos abgelaufen war. «Das ist wirklich nett von Ihnen. Selbstverständlich halte ich die Kündigungsfrist ein, wenn Sie –»
«Nee, nee, so funktioniert das in unserer Branche nicht, das wissen Sie doch.»
Klar wusste Greg das, aber er hatte es trotzdem anbieten wollen. «Dann räume ich sofort meinen Schreibtisch.»
«Keine Sorge, mein Junge. Wünsche Ihnen ein spannendes Leben.»
Genau. Als Greg sich umdrehte, war ihm ganz leicht ums Herz. Ja, sein Leben würde spannend werden, und dafür war es auch höchste Zeit.
Eine halbe Stunde später stand Greg im Fahrstuhl. Unter dem Arm trug er eine braune Schachtel, die die wenigen persönlichen Dinge aus seinem Kabuff enthielt. Ihm war immer noch ein wenig schwindlig von diesem schnellen Abschied, und er dachte daran, wie er zum ersten Mal eine Kamera benutzt hatte. Damals war er zehn gewesen, und seine Eltern hatten ihm eine Kodak zum Geburtstag geschenkt. Immer wieder hatte er sie in den Händen gedreht und gewendet und überlegt, was er denn bloß fotografieren sollte.
«Nimm sie einfach mit, wenn wir spazieren gehen», hatte seine Mutter gesagt. Sie durchstreifte mit Vorliebe ihr altes Viertel, die East Side, und entdeckte dabei die zahlreichen Veränderungen, die seit ihrer Kindheit stattgefunden hatten. Aufgeregt wies sie Greg auf bestimmte Gebäude hin. «Siehst du, das war meine Grundschule. Weißt du, wer auch noch da hingegangen ist? James Cagney, kaum zu glauben, was?» Dabei klang sie so verwundert, dass Greg die Kamera hervorzog und das Gebäude fotografierte.
Später war er froh darüber, denn viele der Gebäude von damals waren inzwischen abgerissen und durch billige Hochhäuser ersetzt worden. Auch seine Mutter betrachtete diese alten Fotos mit großem Vergnügen. Ihr Gesicht hellte sich auf, wenn
Weitere Kostenlose Bücher