Das Gluecksarmband
Erleichterung war der Baum gar nicht so schwer, wie er aussah. Mit beiden Händen den Stamm umfassend schleifte Molly ihn die Straße entlang, während Danny ihr die Richtung wies.
Als sie ihr Mietshaus erreichten, gab sie Danny den Schlüssel, damit er sie in die Eingangshalle einließ, und dann zerrte sie den Baum durch die schmalen Doppeltüren, wunderbarerweise ohne ein einziges Ästchen abzubrechen. Als sie endlich in ihrer Wohnung angelangt waren, schob Molly ihren Kauf erleichtert ins Wohnzimmer.
Sie beschlossen, den Weihnachtsbaum gegenüber vom Sofa aufzustellen, neben dem kleinen Fernsehgerät.
Zusammen steckten sie die Fichte in den alten Metallständer, und Molly hielt den Baum an den Ästen fest, während Danny ihn mit den Schrauben fixierte. Als er fertig war, traten sie zurück und begutachteten ihr Werk.
«Ist der groß», sagte Molly.
«Jetzt müssen wir ihm Wasser geben, damit er nicht vertrocknet.» Danny hüpfte in die Küche und kam mit einer Schale voll Wasser zurück.
«Woher weißt du das denn alles?», fragte Molly ihn.
«Na ja, meine Freunde haben doch auch Tannenbäume und so», antwortete er, während er sich hinkniete, um das Wasser in den Ständer zu füllen.
«Ach so, natürlich.» Sie beobachtete ihn. Nahm er denn alles so genau wahr, wenn er einen Freund besuchte? Jede Einzelheit? Sie hatte noch nie richtig darüber nachgedacht, dass ihr Sohn nun in das Alter kam, wo ihm solche häuslichen Dinge auffielen. Zum Beispiel, ob eine Wohnung sauber oder schmutzig war, ob der Weihnachtsbaum gegossen wurde – und ob es zu Hause einen Vater gab.
Molly biss sich auf die Lippe. Sie wollte sich jetzt nicht in solche Gedanken hineinsteigern. Danny war nicht der einzige in seiner Klasse, dessen Mutter alleinstehend war, aber natürlich gehörte er zu einer Minderheit. Joey, sein bester Freund, kam aus einer großen, traditionellen Familie und lebte in einer Riesenwohnung, in der auch die Haushälterin mit wohnte. Seine Mutter Rita war immer sehr nett zu Molly und drängte sie oft, doch mal rüberzukommen und einen Kaffee, eine Tasse Tee oder ein Glas Wein mit ihr zu trinken.
Molly jedoch war immer beschäftigt. Sie musste arbeiten, und ihre Freizeit wollte sie mit Danny verbringen. Aber vielleicht würde sie doch irgendwann mal Ritas Einladung zum Kaffee annehmen.
Sie fragte sich, was ihr Sohn wohl sonst noch bei seinen Freunden sah, und das machte sie traurig. Einen Vater, eine große Wohnung, Urlaubsreisen, das neueste elektronische Spielzeug … sie seufzte. Aber in diesem Jahr würden sie einfach selbst etwas Unvergessliches auf die Beine stellen, ja, und das war eben etwas anders als der Mainstream. Klar, der Baumschmuck, den ihr Sohn gerade fachmännisch an die Zweige hängte, stammte aus einem vergessenen Karton in der hintersten Ecke eines Trödelladens … Aber das würde Dannys Charakter festigen und seine Fähigkeit zur Toleranz stärken, und er würde das, was sie sich leisten konnten, wirklich zu schätzen wissen.
Danny ließ sich nun neben seiner Mutter auf dem Sofa nieder.
«Jetzt brauchen wir noch Lichter», sagte er.
Mist, die hatte Molly vergessen. Wo kriegte sie zu dieser Uhrzeit noch eine Lichterkette her? Doch da kam ihr eine geniale Idee.
«Weißt du was? Wir nehmen die Lichterkette von der Feuertreppe.» Jedes Jahr schmückten sie die Feuertreppe mit einer langen Lichterkette, damit sie festlich aussah. Molly würde einfach aus dem Fenster klettern und sie hereinholen.
«Und wann?», fragte Danny. Sie hörte, dass er sich große Mühe gab, nicht ungeduldig zu klingen.
Sie stand vom Sofa auf und ging durch den kleinen Raum zu ihrer Schlafecke. Dort schob sie das Fenster hoch. Kalte Luft strömte herein.
«Ich mache dir Tee!», rief ihr Sohn, als hätte sie eine große Expedition vor, und lief in die Küche.
Molly hockte sich auf die Feuertreppe und wickelte mit klammen Fingern die Lichterkette von den Eisenträgern. «Ach, was tut man nicht alles für Weihnachten …», brummte sie gutgelaunt.
Mit der Lichterkette in der Hand sprang sie wieder ins Wohnzimmer, wo Danny sie mit heißem Tee begrüßte. Sie übergab ihm die Lichterkette, nahm den Becher in beide Hände und wärmte ihr Gesicht im Dampf.
«Na los», sagte sie zu ihrem Sohn, «mach du das – dafür brauchst du mich nicht.»
Mit leuchtenden Augen legte der Junge die Lichterkette um den Baum. Immer wieder prüfte er, wie es wohl am besten aussah, und als er fertig war, schaltete er die
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