Das Gluehende Grab
nicht in Frage,
ein Kind aus dem Ausland zu adoptieren. Und Valgerður hatte
lange versucht, schwanger zu werden. Alda war ihre einzige Hoffnung
auf ein Kind.
Damit der
Bluff funktionierte, zogen Daði und Valgerður mit Alda an
einen entlegenen Ort und achteten darauf, dass Alda nur wenige
Leute zu Gesicht bekam und möglichst selten zu
Vorsorgeuntersuchungen ging. Die wenigen Male, wenn Alda andere
Leute traf, musste sie vorgeben, wesentlich älter zu sein. In
den Westfjorden ließen sich die drei auf dem leerstehenden
Hof von Valgerðurs Verwandten nieder. Bei diversen Besuchen bei
Freunden und Bekannten in der Umgebung behauptete Valgerður,
schwanger zu sein. Auf diese Weise schöpfte niemand Verdacht.
Schwieriger wurde es, als der Zeitpunkt der Geburt näher
rückte. Alda sollte mit Valgerðurs Hilfe zu Hause
gebären, aber die Plazenta lag vor dem Muttermund, und sie
mussten mit Alda ins Krankenhaus nach Ísafjörður
fahren. Dort kam das Kind per Kaiserschnitt zur
Welt.
Alda musste
länger im Krankenhaus bleiben als andere Frauen, weil sie sich
nur langsam von dem Kaiserschnitt erholte und eine Entzündung
bekam. Niemand kümmerte sich um das Alter der jungen Mutter
oder bezweifelte, dass es sich um Valgerður
Bjólfsdóttir handelte. Das Krankenhauspersonal
bemerkte jedoch, dass sich die frischgebackene Mutter ihrem Kind
gegenüber merkwürdig verhielt. Sie wirkte
gleichgültig und wollte ihm nicht die Brust geben. Daði
hatte keine Schwierigkeiten, Krankenhausbesuche zu verhindern, denn
das Paar war in den Westfjorden ebenso unbeliebt wie auf den
Westmännerinseln. Alda wurde zwei Wochen später mit
Daði an ihrer Seite und einem kleinen Jungen im Arm entlassen.
Sie fuhr mit zum Hof, um ihre Sachen abzuholen, und {335 }der Junge
blieb bei Valgerður und Daði. Die Hebamme, die sich dort um
Mutter und Kind kümmerte, teilte dem Krankenhaus mit, das
Verhältnis der beiden habe sich zunehmend gebessert, auch wenn
die Mutter das Kind nicht stillte. Besagte Hebamme gehörte
nicht zum Krankenhauspersonal und merkte nicht, dass der Grund
für die Veränderung der war, dass ein Müttertausch
stattgefunden hatte. Das Krankenhaus in Ísafjörður
hatte also keinen Fehler bei der Medikation gemacht, als
Valgerður über dreißig Jahre später dort
eingeliefert wurde. Es war einfach Ironie des Schicksals, dass Alda
seinerzeit gegen die Entzündung Penizillin bekommen hatte
– ein Medikament, auf das die echte Valgerður allergisch
war.
Aldas Mutter
erzählte, Alda hätte nie über ihren Sohn gesprochen
und weder seinen Namen noch sonst etwas über ihn wissen
wollen. In Aldas Augen war das Kind auf dieser Welt nicht
willkommen und nie »ihr eigenes« gewesen. Allerdings
konnte Dóra sich gut vorstellen, dass sich Aldas Einstellung
mit der Zeit verändert hatte, vor allem, als ihr klar wurde,
dass sie keine Kinder mehr bekommen würde. Unklar war, ob Alda
bereits auf Adolfs Namen gestoßen war, bevor Halldóra
Dögg ihn wegen Vergewaltigung angeklagt hatte, oder ob sie
einfach nur zwei und zwei zusammengezählt hatte, als sie
seinen Vaternamen und sein Geburtsdatum sah. Jedenfalls musste es
für Alda ein schwerer Schock gewesen sein, zu entdecken, dass
ihr einziges Kind, der Sohn eines Vergewaltigers, ebenso brutal war
wie sein Vater. Alda musste Gefühle für ihren Sohn
empfunden haben und vielleicht sogar von Gewissensbissen geplagt
worden sein, ihn weggegeben zu haben. Das erklärte die Anrufe
bei Adolf; erst waren sie vorwurfsvoll, dann flehend. Alda hatte
hart über ihn geurteilt, und als ihr klar wurde, wer er war,
befürchtete sie, ihn ein für alle mal vor den Kopf
gestoßen zu haben. Dóra überlegte, ob sie deshalb
reinen Tisch machen, Adolfs Unschuld beweisen und ihn über
seine Herkunft aufklären wollte. Adolf hatte sich jedoch taub
gestellt und sich geweigert, sie zu treffen – die Frau, die
seinen {336 }leichtverdienten Reichtum gefährden könnte.
Seit ihm klar war, dass er Alda beerben könnte, sah die Sache
ganz anders aus. Aber für Alda war es zu spät.
Als Juristin
hatte Dóra gelernt, Menschen nicht nach ihren Taten zu
beurteilen. Alle hatten schreckliche Fehler gemacht – Aldas
Eltern, Daði und Valgerður, Adolf und sogar Markús
–, und alle waren sich viel zu spät der Folgen bewusst
geworden. Dóra hatte in ihrem Job schon so viel
Unerklärliches erlebt, dass sie das nicht überraschte.
Viele Fehltritte ihrer Mandanten beruhten auf purer Dummheit,
andere auf falschen Entscheidungen,
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