Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Zwei junge Mädchen von höchstens fünfzehn oder sechzehn Lenzen liefen ausgelassen wie Fohlen über die Wiese. Ihre langen Haare flatterten im Wind, und sie lachten unbekümmert. Cristin erhob sich ein wenig schwerfällig und schritt lächelnd zu ihren Begleitern zurück. In diesem Moment kämpfte sich die Sonne durch die Wolken und ließ die feuchten Gräser und Halme glitzern.
Baldo erwiderte ihr Lächeln und wandte sich von Dormitz zu. »Schaut Euch nur diese beiden blonden Schönheiten an, Herr von Dormitz?«
»Die Eltern sollten besser auf sie achten«, erwiderte dieser nur und spielte mit den sich im Wind wiegenden Grashalmen.
»Was soll ihnen schon geschehen, mein Freund? Zumindest solange Ihr ihnen keine schönen Augen macht. Junge Mädchen können gut gebaute Kerle wie Euch gewiss gut leiden.«
»Schweigt!« Von Dormitz sprang auf. »Über Dinge, von denen Ihr nichts versteht, solltet Ihr besser das Maul halten!«
Baldo hob die Hände. »Aber, aber, Herr von Dormitz, das sollte doch nur …«
»… ein dämlicher Scherz sein, ich weiß.« Von Dormitz räusperte sich, und seine Stimme klang nun etwas versöhnlicher. »Nichts für ungut, junger Freund, bloß kann ich daran nichts Lustiges finden.«
Cristin fing einen verstörten Blick von Bastian auf. Sie trat einen Schritt auf den Hünen zu. »Mein Mann hat es nicht böse gemeint. Niemand hier«, sie wies auf ihre Begleiter, »möchte Euch kränken oder Euch etwas unterstellen.«
Der Mann nickte, wenngleich seine Miene immer noch grimmig wirkte. Seine kerzengerade Haltung und die Schnelligkeit, mit der er auf Baldo zugestürzt war, erinnerten Cristin an einen versierten Krieger, der jederzeit bereit war, seinen Gegner anzugreifen. Cristin hatte solche Männer am polnischen Königshof gesehen, und sie war von ihnen beeindruckt gewesen. Sie wandte sich um und beobachtete, wie die jungen Mädchen lachend zu ihren Eltern liefen und sich am Feuer niederließen. Baldo klopfte von Dormitz auf die Schulter und sprach leise mit ihm, sodass sie das Gespräch nicht mitverfolgen konnte. Wer war dieser Mann, der von einem auf den anderen Moment imstande war, sich derart zu verwandeln? Er schien immer noch innerlich auf der Hut zu sein.
»Wir sollten aufbrechen, denn wir haben noch ein ganzes Stück des Weges vor uns«, mahnte Landsberg und unterbrach damit ihre Gedanken.
Rasch packten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und setzten ihre Reise fort.
5
D rei Tage, nachdem sie Nürnberg hinter sich gelassen hatten, erreichten sie am Abend Augsburg, die Stadt, in der Ulrych von Dormitz von ihnen scheiden würde, um seinen Vater wiederzusehen. Das Stadttor war allerdings bereits geschlossen. Baldo und Bastian sahen sich gezwungen, die Wagen zu wenden und die Nacht auf einem ausgedehnten Platz unweit der in den Nachthimmel aufragenden Stadtmauer zu verbringen.
In dem von einem wolkenverhangenen Halbmond nur spärlich erhellten Halbdunkel erkannten sie, dass sie nicht die Einzigen waren, die keinen Einlass mehr gefunden hatten. Ein halbes Dutzend Ochsenkarren und Pferdegespanne standen auf dem von zahllosen Rädern zerfurchten Platz. Zwischen den Wagen brannten Lagerfeuer, über denen die Reisenden Fleisch und Brot rösteten, und Cristin hörte, wie zwischen ihnen Scherzworte hin und her flogen.
Nachdem Landsberg und Baldo die beiden Wagen nebeneinander gelenkt und zum Stehen gebracht hatten, formte der Bernsteinhändler aus herumliegenden Steinen einen Kreis. Baldo sammelte ein paar Hände voll trockene Zweige zusammen und häufte sie zwischen den Steinen aufeinander. Schnell war ein Feuer entzündet, der mitgenommene Dreibein darübergestellt, und eine Kohlsuppe, in die Cristin die Wurst hineingeschnitten hatte, köchelte in dem Topf über den Flammen. Ulrych von Dormitz’ Laune hatte sich nicht gebessert und einmal mehr fragte sich Cristin, was es mit diesem Mann auf sich hatte.
Nach und nach wurde es ruhig in dem Lager. Die Männer und Frauen um sie herum verschwanden in ihren Wagen, und auch Bastian, von Dormitz, Baldo und Cristin begaben sich müde von der Reise zur Ruhe.
Wenn Cristin allerdings gehofft hatte, in einen erholsamen Schlaf gleiten zu können, hatte sie sich geirrt. Schon bald drang gleichmäßiges Schnarchen aus dem Wagen, in dem Landsberg und von Dormitz lagen, und auch Baldo schlief tief und fest. Nur sie starrte mit offenen Augen in die Nacht. Mücken hatten den Weg unter die Plane gefunden, umschwirrten sie und stachen mehrmals
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