Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. »Ihr habt recht, vorhin habe ich nicht gezögert zu töten«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Doch das war etwas anderes. Ich musste schneller sein als der Kerl, der Euch seinen Dolch in den Rücken jagen wollte«, sagte er leise. »Sonst stündet Ihr jetzt nicht mehr hier! Aber einen Mann, der sich nicht verteidigen kann, töte ich nicht.«
»Ihr braucht Euch nicht damit belasten, ich erledige das. Ein Strick ist schnell geknotet!« Baldo erwiderte den eindringlichen Blick des Fremden.
Bastian Landsberg trat zu ihnen. »Baldo, versündigt Euch nicht«, mahnte er leise. »Du sollst nicht töten, lautet das göttliche Gebot!«
»Aber das Schwein hat nichts anderes verdient«, stieß Baldo grimmig hervor.
Der Bernsteinhändler nickte. »Das mag sein, aber Gott wird am Jüngsten Tag sein Richter sein, nicht wir.«
»Wie ihr wollt. Schenken wir ihm das Leben. Was soll mit ihm geschehen? Wir lassen ihn doch nicht etwa laufen?«
Von Dormitz schüttelte den Kopf. »Das wohl kaum«, erklärte er. »Aber wir könnten ihn, natürlich gut verschnürt, nach Augsburg mitnehmen.«
»Ihr reist nach Augsburg?«
»Ja. Zufällig ist mein Vater dort einer der drei Vögte …«
»… der dem Kerl den Prozess machen könnte«, ergänzte Bastian. »So sollten wir vorgehen, Herr von Dormitz. Das wäre gottgefällig. Gleiches mit Gleichem vergelten dagegen nicht.«
»Also gut.« Baldo ergriff Cristins Arm. »Hat er dich auch wirklich nicht angerührt?«
»Nein, dazu ist es dank unseres Retters nicht gekommen, Liebster.«
Von Dormitz schlug sich plötzlich in die Büsche, um wenig später mit einem prächtigen, im Licht des durch die Wolken fallenden Vollmondes leuchtenden Schimmel zurückzukehren.
»Mein treues Pferd habe ich weiter hinten an eine Birke gebunden, als ich aus einiger Entfernung mitbekam, was gerade geschah«, erklärte er und streckte seinen langen Rücken. »Wir können morgen früh weiterreisen. Nürnberg ist nicht mehr weit, wir sollten die Stadt gegen Mittag erreichen. Lasst uns die Nacht hier verbringen.« Er wandte sich Cristin zu. »Eure Vorstellung als Besessene war übrigens sehr überzeugend.«
»Allerdings«, pflichtete ihm Bastian bei.
»Ihr wart aber auch nicht schlecht, Landsberg«, meinte Baldo und schlug dem Freund auf die Schulter. »›Beim letzten Mal hat sie einem Hund die Kehle durchgebissen!‹ Darauf muss man erst mal kommen! Ohne Euch beleidigen zu wollen, Bastian, Ihr wart besser als jeder Spilman , den ich bisher gesehen habe.«
»Keine Sorge, Baldo, Ihr beleidigt mich nicht. Zuweilen heiligt der Zweck eben die Mittel.«
Die beiden Männer brachen in befreites Gelächter aus, in das auch von Dormitz einfiel.
4
Nürnberg
S chon von weitem erkannte Cristin die Türme einer gewaltigen Feste und sah bald darauf auch die Mauern des Palas in den strahlend blauen Himmel über Nürnberg aufragen. Es war der Wohnsitz des Burggrafen und des Kaisers, wenn dieser in der Stadt weilte, wie Ulrych von Dormitz, der die meiste Zeit neben Baldos Wagen ritt, ihnen erklärte. Das breite Tor in der Stadtmauer, auf das die schnurgerade Straße zuführte, wurde Tiergärtnertor genannt, wegen eines Wildgeheges, das einer der Burggrafen im Stadtgraben angelegt hatte.
Von Dormitz, Baldo, Bastian und Cristin waren nicht die Einzigen, die an diesem Morgen in die Stadt hineinwollten. Vor den weit geöffneten eisenbeschlagenen Eichenholzflügeln des Tores warteten bereits etliche Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren, außerdem Männer und Frauen mit Kiepen auf dem Rücken und schwer beladenen Eseln. In Nürnberg schien Markttag zu sein. Als sie endlich den Torzoll bezahlt hatten, brachte Baldo den Wagen an einem großen, auf einem Hügel gelegenen Platz unweit der Burgmauern zum Stehen. Von dort aus führten etliche Gassen strahlenförmig hinab. Er kletterte vom Kutschbock und streckte die verspannten Glieder. Bastian Landsberg tat es ihm gleich und trat neben ihn.
»Ihr kennt Euch offenbar aus in dieser Stadt«, wandte sich Baldo an von Dormitz. »Sicher könnt Ihr uns für die kommende Nacht ein Gasthaus empfehlen.«
»Das will ich meinen«, erwiderte dieser und schlug vor, die Nacht im Weißen Ross zu verbringen, einem Gasthaus unweit der Pegnitz, dem breiten Fluss, der Nürnberg in zwei Hälften teilte.
»Gut, dann reitet voran«, sagte Baldo und erklomm den Kutschbock, wandte sich jedoch noch einmal um. »Sagt einmal, Ulrych, wollen wir uns wirklich noch bis
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