Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
kamen ihnen andere Reisende entgegen, manche von ihnen erkannte Cristin an dem breitkrempigen Hut und dem mitgeführten Stab als Pilger. Andere waren mit schwer bepackten Mauleseln unterwegs, auch sie wurden von Säumern begleitet.
So verging Stunde um Stunde, und je länger sie unterwegs waren, umso steiler ging es zwischen den felsigen Bergwänden hinauf. Die kräftigen Zugtiere hatten nun sichtlich Mühe, die Steigung zu bewältigen. Josef und sein jüngerer Bruder waren längst abgestiegen und hatten ihre Reittiere mit Hanfstricken an die Wagen gebunden. Die beiden Männer gingen neben den Ochsen her und führten sie am Zaumzeug. Schließlich kletterten auch Bastian und Baldo von den Wagen, um den Ochsen die Arbeit zu erleichtern .
Die Zeit verging nur schleppend, denn die Lasttiere mussten immer häufiger eine Rast einlegen, um an Bächen oder anderen kleinen Wasserstellen zu trinken. Obendrein brauchten die Ochsen zwischendurch gutes Futter, damit sie bei Kräften blieben. Auch die Lasten mussten regelmäßig neu verteilt werden, um die Tiere zu schützen. Von Zeit zu Zeit räumten die Männer größere Steine beiseite, die von den umliegenden Felswänden gefallen waren.
Einmal vernahm Cristin einen schrillen Pfiff, als sie sich mit den Wagen inmitten einer Kurve befanden und erschrak. »Josef, habt Ihr es gehört? Ist da wem etwas zugestoßen?«
Der Säumer drehte sich zu ihr um und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, nein. Uns kommt ein größeres Fuhrwerk entgegen, und dies war nur ein Warnruf. Wir machen ihnen Platz, denn der Weg ist zu schmal für zwei Fuhrwerke.«
Also drückten sie sich eng an die Felswände und warteten, bis die Entgegenkommenden sich ihnen näherten. Die vierköpfige Gruppe führte ihren Ochsen dicht an ihnen vorbei. Da bemerkte Cristin, wie ein alter Mann, der nur einen Klafter vom Abgrund entfernt ging, ins Straucheln geriet. Sie schrie unterdrückt auf. Eine Anzahl größerer Steine hatte sich gelockert, und stürzte in die gähnende Tiefe. Der Greis konnte sich gerade noch fangen und umklammerte den Hals seines Ochsen. Cristins Knie waren weich, sie atmete erleichtert aus und beobachtete, wie die Gruppe aus ihrem Sichtfeld verschwand. Dann setzten sie ihre Reise durch die Berge fort.
Mit zunehmender Höhe nahmen die Schmerzen in Cristins Ohren zu, auch die Luft wurde merklich dünner. Zudem wehte ihnen ein eiskalter Wind entgegen. Ihre Augen brannten, und die Kälte drang selbst durch ihren dicken Umhang.
Sie mochten seit etwa vier Stunden unterwegs sein, als sich Josef zu Baldo umwandte, der ein Stück hinter ihm ging.
»Wir kommen nun bald an eine schmale Brücke«, erklärte er, »da müssen wir hinüber. Auch danach geht’s auf der einen Seite so tief und steil hinab, dass sich schon so mancher Reisende vor Angst die Bruche nass gemacht hat. Ihr solltet Eurer Frau besser die Augen verbinden.«
»Muss das sein?«, begehrte Cristin auf, doch Baldo war schon zu ihr auf den Kutschbock geklettert und verschloss ihren Mund mit einem Kuss.
»Sei ausnahmsweise einmal ein gehorsames Weib. Der Mann weiß, was er tut. Wir sollten auf ihn hören.« Er schob ihr das Kopftuch über die Augen und knotete es fester. »Nur solange, bis der Weg wieder breiter wird«, versprach er und sprang zurück auf die Straße.
Ein Stück voraus erblickte er die schmale Brücke, die über eine tiefe Schlucht führte. Er beugte sich vor und starrte in den gähnenden, todbringenden Abgrund.Ich muss verrückt sein, schalt er sich selbst und fragte sich einmal mehr, warum er sich auf diese Reise eingelassen hatte.
Cristin spürte, wie die Wagenräder über Holzbohlen rollten.
Der Wind zerrte an ihrem Kopftuch. Allein der Gedanke, dass lediglich diese schmale Brücke sie vom gähnenden Abgrund fernhielt, trieb ihr das Blut schneller durch die Adern. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Haut. Sie hörte jedes noch so leise Knarren der Bohlen, das Ächzen ihrer Begleiter und das Brausen von Wasser in der Nähe. Der scharfe Schweißgeruch des Säumers stieg ihr unangenehm in die Nase und verursachte ihr Übelkeit.
»Cristin, wir sind drüben«, vernahm sie endlich Baldos Stimme und zog sich das Tuch von den Augen.
Die plötzliche Helligkeit ließ sie blinzeln. Josef hatte den Ochsen zum Stehen gebracht. Von der grauen Felswand, die nur wenige Schritte neben der Straße steil in die Höhe ragte, rieselten Sand und kleine Steine herab. Cristins Blick flog zu Baldo, dessen Miene sich
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