Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
frisch gefallener Schnee, hervor.
Bastian nickte düster. »Niemand macht Euch einen Vorwurf.«
Mit bleischweren Gliedern erklomm Cristin den Kutschbock. Josef schnalzte mit der Zunge, doch das kräftige Tier setzte sich nur widerwillig in Bewegung. Etwa eine halbe Stunde später verbreiterte sich der Weg zusehends, und schon bald darauf erreichten sie eine ebene, schneebedeckte Fläche, die Reisenden wohl häufiger als Rastplatz dienen mochte. Davon zeugten jedenfalls der Unrat und die frischen Spuren, die Stiefelsohlen und Wagenräder im Schnee hinterlassen hatten.
»Seht nur.«
Cristins Blick folgte Baldos Handbewegung. Unweit des Platzes floss träge ein schmaler, an mehreren Stellen überfrorener Bach dahin, gesäumt von ein paar schlanken Bäumen.
» Dem Himmel sei Dank!«
Bastian verschwand unter der Plane und tauchte mit einem leeren Ziegenlederschlauch in den Händen wieder auf. Er lief zu dem Bach hinunter und tauchte den Schlauch in die Strömung, an der Sebald bereits Wasser in seinen eigenen Wasserbehälterlaufen ließ.
Nachdem sich die fünf an dem eiskalten Wasser gelabt hatten und Baldo und Josef auch den Ochsen und die Maultiere ausgiebig hatten saufen lassen, wies der Säumer auf ein paar karge Büschel, die am Rand des Platzes aus der Schneedecke hervorlugten.
»Zu dieser Jahreszeit ist das Gras nicht besonders nahrhaft. Wenn die Tiere bei Kräften bleiben sollen, werden sie bald gutes Futter brauchen.«
Cristin sah von einem zum anderen, die Mienen ihrer Begleiter verrieten allzu deutlich ihre Gedanken, doch sie zog es vor zu schweigen. Auch ihr war nicht wohl dabei, die Nacht auf diesem menschenleeren und windumtosten Platz zu verbringen, besonders, da ihr Rücken schmerzte und die Füße von der Reise angeschwollen waren. Sie setzte sich auf die ausgebreitete Decke, um die Beine auszustrecken. Ihre Laune sank zunehmend, je eingehender sie über ihre derzeitige Lage nachdachte. Ihr Magen knurrte und erinnerte sie mit Nachdruck daran, dass die letzte Mahlzeit länger als einen halben Tag zurücklag und sie außer einer üppigen Ration Wasser nur noch Proviant für drei oder vier Tage besaßen.
Cristin wischte sich übers Gesicht. Da nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Vor einem Felsbrocken hockte ein graubraunes Tierchen. Seine krallenbewehrten Pfoten hingen vor der breiten Brust herab. Die dunklen Augen an den Seiten des flachen Kopfes schienen sie aufmerksam zu mustern. Der kleine Kerl erinnerte Cristin an ein anderes, wesentlich größeres Tier, das sie auf ihrer Reise durch Polen am Ufer eines Waldsees beobachtet hatte. Das Hinterteil des Tieres zierte allerdings keine breite, glatte Kelle, sondern ein langer, pelziger Schwanz. Als Cristin sich bewegte, stieß es einen schrillen Pfiff aus – und war ebenso plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war.
Sie seufzte. Ihre Glieder waren verkrampft, und sie sehnte sich schmerzlich nach einer ausgiebigen Wäsche und einem frischen, weichen Strohbett. Überdies stand die Sonne schon tief, bald würde sie hinter den Bergmassiven verschwinden und die Dunkelheit sich rascher über das Tal senken, als ihnen lieb war. Cristin wendete sich um und betrachtete die Männer, die dicht beieinanderstanden und sich leise unterhielten. Als spürte er ihre Blicke im Rücken, drehte Baldo den Kopf, sah sie an und kam mit langen Schritten auf sie zu.
Zärtlich strich er über ihre Wange. »Bastian und ich werden uns etwas Gutes zu essen besorgen, Liebes. Du bist viel zu blass.«
»Ah ja«, erwiderte sie lakonisch, »ihr habt also hinter diesem Tal einen Markt entdeckt?«
»Sehr witzig, wirklich.« Mit einem gutmütigen Lächeln ließ er sich neben ihr nieder und legte den Arm um sie. »Bastian hat eine Schleuder bei sich, und Steine gibt es hier zuhauf. Also werden wir uns etwas Hübsches jagen.«
» Eine Schleuder? Das ist ja wunderbar!«
» Ich habe auch eine Gnippe zum Ausnehmen. Der Rest ist ein Kinderspiel. Bastian meint, hier gebe es reichlich Murmeltiere.«
» Murmeltiere?«
» Was hast du gegen Murmeltierfleisch?«
» Nichts, mein Lieber. Aber wenn das diese Tiere sind, die ich vorhin beobachtet habe … die sind flinker als ihr zwei zusammen.«
Zwei Stunden später saßen die fünf schweigend um ein kleines Feuer, die Kapuzen ihrer Umhänge zum Schutz vor dem beißenden Wind tief in die Stirn gezogen. Cristin hatte recht behalten. Nachdem Baldo und Bastian tatsächlich einige Murmeltiere erspähten, hatten sie schnell erkennen
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