Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Dieses Scheusal, durchfuhr es sie wohl zum hundertsten Mal. Wie konnte ein einzelner Mensch fähig sein, ohne zu zögern oder den Hauch eines Zweifels zu morden? Frauen, Kinder und alte Menschen, die sich nicht zur Wehr setzen konnten?
Bastian hatte ihr erklärt, der Söldner sei am Tag nach dem schrecklichen Verbrechen desertiert. Nun sei ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, und er müsse damit rechnen, eingefangen, zu seiner Truppe zurückgebracht und getötet zu werden.
»Du denkst noch immer an die Geschichte, die Ulrych uns erzählt hat, stimmt’s?«, fragte Baldo.
»Er hat Menschen umgebracht, Baldo, viele Menschen!«
»Still, Weib, oder willst du, dass die anderen uns hören?«
Sie senkte die Stimme. »Vielleicht ist er sogar einer derjenigen, die Janeks Dorf niedergemetzelt haben!« Als Baldo sie wortlos an sich ziehen wollte, drehte sie sich zu ihm um. »Solltest du jemals fragen, ob ich diesem Mann eines Tages verzeihen könnte … die Antwort lautet Nein. Niemals!«
»Beruhige dich und denk an unser Kind.« Zärtlich streichelte er ihr Gesicht. »Ich hätte dich fesseln sollen, um dich an dieser Reise zu hindern, werte Frau Schimpf.«
»Das hättest du gern versuchen können.«
»Wie konnte ich nur an dich geraten, Cristin?« Er lachte leise. »Komm her, Weib.« Mit dem Mund liebkoste er die zarte Haut an ihrem Hals, bis sie leise seufzte.
»Ich liebe dich«, raunte er ihr ins Ohr. »Für deinen Sinn für Gerechtigkeit und für die Leidenschaft, mit der du die Deinen verteidigst und umsorgst.« Er verschloss ihre Lippen mit einem innigen Kuss.
Bald darauf hatte sich der Wind gelegt, und nur die vielen abgebrochenen Zweige und ein gelber Blätterteppich auf dem Waldboden zeugten noch vom Sturm der vergangenen Stunden.
Cristin rollte ihre Decke zusammen und verstaute sie auf einem der Wagen, denn sie wollten so bald wie möglich die Stadttore von Augsburg passieren. Landsberg und Baldo löschten währenddessen das Feuer. Sie warf von Dormitz, der das Tränken der drei Pferde übernommen hatte, einen vorsichtigen Blick zu. Vielleicht bereut er bereits, uns sein Geheimnis verraten zu haben und ist froh, dass unsere Wege sich nun trennen, dachte Cristin. Auch sie würde aufatmen, wenn sie sich erst voneinander verabschiedet hätten.
War es wirklich möglich, die Vergangenheit wie einen fadenscheinigen Umhang einfach abzustreifen? Gewiss nicht, und selbst der feste Wille, ein redliches Leben zu führen, schien ihr ein schwieriges Unterfangen zu sein, wenn doch die Familie und Nachbarn wussten, was er getan hatte. Waren Bastian, Baldo und sie die Ersten, denen er sich anvertraut hatte? Welche Frau würde an seiner Seite leben wollen, wenn sie erst die ganze Wahrheit über ihn erfuhr?
Cristin fröstelte, außerdem war sie schon wieder hungrig. Wenn es nach dem Kind ging, das in ihrem Leib heranwuchs, hätte sie zum Frühstück mindestens die doppelte Ration verspeisen können, doch abermals hatte sie verzichtet, um nicht den Argwohn Landsbergs herauszufordern. Früher oder später würde sie es nicht mehr verheimlichen können, später wäre ihr jedoch erheblich lieber, denn wie Baldo würde auch der Bernsteinhändler alles andere als begeistert von ihrer Heimlichtuerei sein. Cristin hielt den Kopf gesenkt, um die aufsteigende Röte zu verbergen, während von Dormitz sich der erloschenen Feuerstelle näherte.
»Ich werde mich nun von Euch verabschieden«, sprach der Söldner.
Baldo erhob sich und reichte von Dormitz seine ausgestreckte Hand. »Was Ihr für uns getan habt, werden wir nie vergessen. Habt Dank und viel Glück.«
Der Söldner ergriff Baldos Hand. »Das wünsche ich Euch ebenfalls. Gott mit Euch!«
Unsicher stand Cristin auf und glättete ihr Gewand, um die Finger rasch daran abzuwischen. Von Dormitz hielt ihren Blick fest, und sie blinzelte. »Dürfte ich Euch etwas fragen, ich meine, wenn es Euch nicht zu neugierig erscheint.«
»Nur zu, Frau Schimpf.«
Cristin befeuchtete die Lippen. »Sagt mir bitte, wart Ihr jemals in der Gegend um Slupsk?«
»Slupsk? Wo soll das sein?«
Baldo, der sich hinter sie gestellt hatte, ergriff das Wort und beschrieb die Lage der Stadt, die sich im Norden des polnischen Königreichs befand, nur wenige Meilen von der Ostseeküste entfernt.
»Nein«, erwiderte von Dormitz. »Diese Stadt kenne ich nicht.«
Einen Moment starrte sie ihn reglos an. »Ihr ahnt nicht, wie froh es mich macht, das zu hören.«
Er nahm ihre Hand und hielt sie sacht in seinen.
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