Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
»Möge der Herr mit Euch sein und mit allen, die Ihr liebt.«
»Und mit Euch.« Cristins Sicht verschwamm, doch sie erwiderte den Druck seiner Hände. » Alles Gute.«
Bald darauf passierten Bastian, Baldo und Cristin das Stadttor von Augsburg und setzten, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, ihre Reise in Richtung Süden fort. Die Fahrt bis zu ihrer nächsten Station Innsprucke, das sie drei Tage später erreichten, verlief ruhig und ohne weitere Zwischenfälle.
6
Innsprucke
B ei allen Heiligen!«
Cristins Augen weiteten sich bei dem Anblick, der sich ihr durch das kleine Fenster ihrer Kammer bot.
Am Abend zuvor hatten sie unter der Führung eines Säumers den Inn auf einer schmalen Brücke überquert – beidem verdankte die Stadt ihren Namen –, wo sie den Zoll für die Ladung entrichtet hatten. Wenig später waren die Wagen durch ein breites Stadttor gerollt.
»Ihr werdet einen oder besser noch zwei kundige Führer brauchen, wenn Ihr über die Alpen wollt«, hatte der Mann, ein kräftiger Bauernsohn namens Josef, ihnen geraten, als ihm Bastian von ihrem Ziel erzählt hatte. »Auf sich allein gestellt schafft das niemand! Mein Bruder Sebald und ich könnten Euch hinüberführen.«
Sie waren sich handelseinig geworden und hatten sich für den nächsten Tag auf einem nahen Marktplatz verabredet. Josef hatte ihnen eine Schänke empfohlen, in der sie die Nacht verbringen konnten, ehe sie am nächsten Morgen unter der Führung der Brüder zu ihrer beschwerlichen Reise über das Gebirge aufbrechen sollten.
Innsprucke war mit Wallfahrern überfüllt. Zahllose Männer und Frauen befanden sich auf Pilgerreise nach Rom, um in diesem Heiligen Jahr die Gräber der Apostel Petrus und Paulus zu besuchen und Sündenvergebung zu erlangen. Das hatte ihnen der vierschrötige Wirt erklärt, während er mit ihnen unter das Dach des Hauses gestiegen war, in dem sich noch zwei enge Kammern befanden. Die letzten, wie er mehrmals betonte. Ohne Abendessen waren sie schließlich in die Betten gefallen.
Doch nun, am Morgen darauf, bot sich ihnen ein überwältigendes Panorama, und Cristin hielt angesichts der Schönheit der Landschaft den Atem an . Steil ragten hinter den Kirchtürmen der Stadt die schneebedeckten Berge in den Himmel, so hoch, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um die Gipfel sehen zu können. Doch die verbargen sich in den hellen Wolken, gegen die sich die Silhouetten einiger gleichsam auf dem Wind schwebender, großer Vögel abhoben.
»Was ist denn los?«, kam es von dem Lager her, auf dem sie sich nach dem Erwachen leidenschaftlich geliebt hatten.
»Sieh dir nur mal diese Berge an, Liebling«, antwortete sie. »Ist das nicht ein wunderschöner Anblick?«
Baldo schlug die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und trat neben sie. Er spähte durch die Scheibe und heftete den Blick auf das graue Bergmassiv. »Siehst du das dünne Band da oben?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Etwa dort, wo der Adler fliegt.«
Schließlich entdeckte sie in der Nähe eines Kreise ziehendenRaubvogels eine feine Linie, die sich zwischen Bergen verlor. »Ist das die …«
»Die Via Imperii , ja«, nickte Baldo. »Sie wird uns mitten durch die Alpen bis nach Italien führen. Aber ich kann nicht gerade behaupten, dass ich mich darauf freue.«
Nachdem sie ein reichhaltiges Frühstück zu sich genommen und sich in einer nahe gelegenen Badestube gewaschen hatten, kauften sie auf dem Markt noch einige Vorräte. Dort waren sie mit den beiden Bergführern zusammengetroffen, die sie über die Alpen bringen wollten. Die Männer hatten ihnen geraten, die braune Stute und den Rappen gegen zwei Ochsen einzutauschen, die über einiges mehr an Kraft und Ausdauer verfügten. Zunächst bekamen die Saumtiere Ochsenschuhe , einen Eisenbeschlag für die Hufe, damit sie auf dem unwegsamen Gelände trittsicherer waren. Dann legte der Säumer den Tieren Bastsättel an, um mit Hilfe des Tragegestells die Last gleichmäßig zu verteilen. Nachdem die Ballen und Säcke sorgfältig verschnürt und an dem Gestell festgezurrt worden waren, spannten sie Decken und eine Plane über die Lasten, um die Fracht vor Nässe zu schützen. Die Kisten sowie die Säcke mit Tierfutter luden sie auf die Karren.
Nun lenkte Baldo seinen Ochsenkarren über die alte, gekieste Reichsstraße, die an einigen Stellen kaum breiter war als die Fuhrwerke. Gleich dahinter rollte das zweite Gespann mit Bastian Landsberg auf dem Kutschbock. Von Zeit zu Zeit
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