Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
einem Räuspern das Gesagte übersetzte.
»Mein Herz, Ihr irrt Euch. Dies ist keine Arbeiterin, sondern eine Goldspinnerin aus der freien Reichsstadt Lübeck höchstpersönlich. Ihr solltet Euch ansehen, was sie anzubieten hat.«
Cristin lauschte angestrengt Dorias Worten und nickte zum Zeichen, alles verstanden zu haben. Trotz Montebellos einschmeichelnder Stimme war ein leiser Unterton herauszuhören.
»So, ist sie das?« Der Blick der Dame war herablassend. »Dann sollte sie wissen, dass es sich für eine Frau nicht geziemt, einen Männerberuf auszuüben. Außerdem, mein lieber Sebastiano, schätzen wir schon seit Jahren die Arbeiten unserer Hausweberei. Ich wüsste nicht, warum ich mich mit niederwertigeren Stoffen als denen von Meister Pino zufriedengeben sollte.«
Cristin schnappte nach Luft, nachdem der Dolmetscher alles weitergegeben hatte, und kämpfte um Gelassenheit. Abermals kamen ihr die Worte ihrer Ziehmutter in den Sinn, und sie reckte das Kinn. Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wie Baldo mit den Fingerspitzen auf einen der kleinen Tische klopfte, das Gesicht zu einer Maske erstarrt. Entschlossen trat sie einige Schritte vor und ignorierte das wilde Schlagen ihres Herzens. Ihr Mann wollte es ihr gleichtun, doch sie hielt ihn zurück.
»Wenn Ihr meinen Einwand gestattet, werte Signora: In meiner Heimat werden Frauen wegen ihrer Fertigkeiten geschätzt. Dort gibt es viele Spinnerinnen, manche führen gar ein eigenes Geschäft.«
Als Montebellos Frau hörte, was ihre Besucherin einzuwenden hatte, hob sie nur eine Braue.
»Die Gebräuche sind eben verschieden«, versuchte ihr Gemahl einzulenken. »Signora Schimpfs Proben sind, sagen wir mal … ungewöhnlich. Enrico war davon sehr angetan, meine Liebe. Wenn Ihr bitte einen kurzen Blick darauf werden würdet?«
Elena Montebello wiegte den Kopf mit dem hochgesteckten, dunklen Haar, trat ebenso einen Schritt vor und maß Cristin eindringlich.
»Gewiss gestattet Ihr mir die Frage, Signora Schimpf. Euer Gewand habt Ihr selbst gefertigt, nicht wahr? Es ist wirklich hübsch, doch soll dies alles sein, was Ihr mir zu bieten habt?«
Cristin hörte Doria aufmerksam zu. Ihr schwirrte der Kopf, und jäh kamen ihr de Gaspaniosos warnende Worte wieder in den Sinn. Allem Anschein nach war die Signora für ihre spitze Zunge bekannt. Da huschte der Hauch eines Gedankens durch ihren Geist. Sie sank mit leicht gesenktem Haupt in einen Knicks, während sie die Augenpaare aller Anwesenden auf sich gerichtet wusste. Selbst eine Stecknadel hätte man in der angespannten Atmosphäre des Raumes fallen hören können. Dann hob sie den Kopf wieder und begegnete dem Blick der Dame ungerührt.
»Natürlich nicht, Signora. Ich verstehe mich jedoch als eine Dienerin meiner Kunst und halte es daher für unschicklich, mich zu schmücken. Das allein vermögen nur meine Werke.«
Ein feines Lächeln umspielte daraufhin den Mund der Frau, und sie gab Cristin einen Wink, sich zu erheben. »Ich bin eine Liebhaberin aller Künste, Signora Schimpf. Nun gut, was habt Ihr mir zu zeigen?«
Unauffällig wischte sich Cristin die Hände an ihrem Gewand ab und bemerkte aus den Augenwinkeln die erleichtert wirkenden Mienen von Baldo und Signor Montebello. Doria und Bastian hingegen hatten offenbar Mühe, sich ein Grinsen zu verbeißen. Gemessenen Schrittes ging sie zum Tisch hinüber und nahm die Stoffpakete an sich, um sogleich das erste zu entfalten und es der Signora entgegenzustrecken.
16
Lübeck
E mmerik Schimpf zog die Tür der Schänke auf. Wie immer, wenn er um diese Abendstunde den Hafenkrug betrat, schlugen ihm Biergeruch und der Lärm der Zecher und Würfelspieler entgegen, die sich in der von zahlreichen Talglichtern erhellten Schankstube vergnügten. Zielsicher führte er Mirke zwischen den langen Tischen, an denen das Fallen der knöchernen Würfel lautstark kommentiert wurde, hindurch zu einer Nische am Ende des Raumes. Die im Dunklen liegende Ecke war dem Henker der Stadt vorbehalten.
Es war das erste Mal, dass die junge Frau ihn in das Wirtshaus am unteren Ende der Engelsche Grove begleitete, seit sie bei ihm eingezogen war. Selbst nach all der Zeitgab es immer noch etliche Bürger , die Mirke verächtlich ansahen, wenn sie durch die Gassen der prächtigen Hansestadt ging. Besonders seit man sie regelmäßigin Begleitung des Scharfrichters sah. Außerdem wussten einige, dass sie sich vor noch nicht allzu langer Zeit als Hübschlerin verdingt hatte. Und so trafen
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