Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
auch heute Abend scheele Blicke das ungleiche Paar. Emmerik sah sich in der Gaststube um . Die meisten Männer kannte er. So mancher hatte schon am Köpfelberg gestanden und zugesehen, wenn der Henker sein Handwerk verrichtete.
Emmerik hob den Kopf und hielt Ausschau nach dem Besitzer des Hafenkrugs. Er entdeckte Jakob Spieß am Tresen, winkte ihn heran und bestellte einen Krug Wacholderbier.
Der Abend war schon fortgeschritten, und dicke Rauchschwaden aus einigenKrautpfeifen hingen unter der niedrigen Decke und erfüllten den Raum. Mirke hatte mittlerweile drei Becher Würzbier geleert. Emmeriks Gedanken wanderten zurück zu Marie, der jungen Frau, die bis vor einigen Monaten mit ihm gelebt hatte. Die gute Marie hatte sich immer mit dem Bier zurückgehalten, sie mochte es nicht aufzufallen, und hatte ihm die kurze Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, nur Freude bereitet . Traurigkeit erfüllte ihn, während er wieder vor Augen hatte, wie sie in seinen Armen ihr Leben ausgehaucht hatte. Mirke konnte der Verstorbenen nicht das Wasser reichen, sie mochte vielleicht geschickter in der Liebe sein, die Warmherzigkeit von Marie besaß sie jedoch nicht.
Der Henker sah zu seiner Gespielin auf .
»Vielleicht sollten wir nach Haus gehen?«, schlug er vor.
»Aber warum denn? Is doch grad so schön hier. Bestell uns lieber noch ’n Bier bei dei’m Freund Spieß.«
»Du hattest genug.« Emmerik trank seinen Becher leer. »Ich bezahle, und dann gehen wir, bevor du nicht mehr laufen kannst.«
Ihr Blick wurde einen Moment lang klar. »Mirke Pöhlmann mag zu viel getrunken ham, sie fällt vielleich auch manchma hin, aber sie … sie steht auch immer wieder auf, verstehste?«
»Ist ja gut. Mach hier kein Aufsehen, Mädchen.«
Er griff nach ihrem Arm, doch sie schüttelte seine Hand ab.
»Nur weil ich mit dir«, ein Rülpser entwich ihrer Kehle, »das Bett teile, brauchste mir noch längst nich zu sagen, was ich zu tun und zu lassen hab.«
Seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an. »Nun werde mal nicht kiebig, Mädchen. Oder hast du schon vergessen, wer dich von der Straße geholt hat?«
»Wie könnte ich das vergessen? Der Henker von Lübeck, der Mann, dem die Leute ausweichen, wenn er ihnen …«
Emmeriks Hand schoss vor, fasste nach ihrem Kleid und zog sie dichter an sich heran, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste. »Was bildest du dir ein, verdammt?«, zischte er.
In ihrem leicht verschleierten Blick entdeckte er etwas Lauerndes.
»Vorsicht, mein lieber Emmerik, überleg dir besser, wie du mit mir sprichst.«
»Red kein dummes Zeug.« Er ließ sie los. »Schließlich meine ich es nur gut mit dir. Ich weiß ja, dass dir viel Unrecht geschehen ist.«
»Viel Unrecht, oh ja …« wiederholte sie langsam, um dann unvermittelt, die Hände zu Fäusten geballt, hervorzustoßen: »Diese Bremers sind die schlimmsten von allen!« Ihre grünen Augen sprühten vor Zorn. »Mit denen hat doch alles angefangen. Aber die Schimpf wird nie mehr froh, das sag ich dir.«
»Was meinst du damit?« Eindringlich betrachtete er sein Gegenüber.
Ihm war bewusst, dass Mirke nicht sonderlich klug war, doch dieser verschlagene Ausdruck auf ihrer Miene widersprach seiner Einschätzung. Cristin Bremer, dieses hübsche Frauenzimmer, mit dem sein nichtsnutziger Sohn einst geflüchtet war. Er sah sie wieder vor sich, wie sie mit hocherhobenem Haupt, gefesselt an Händen und Füßen, auf die Vollstreckung ihres Urteils gewartet hatte. Zu seiner eigenen Überraschung versetzten diese Gedanken ihm einen Stich.
»Wieso wird sie nie mehr froh?«
Als Mirke statt einer Antwort nur hell auflachte, umklammerte er ihr Handgelenk, und ihr entfuhr ein Schmerzensschrei.
»Lass mich los, du Grobian!«
Doch Emmerik verstärkte noch seinen Griff. »Jetzt hör mir mal gut zu. Du wirst mir auf der Stelle erzählen, was geschehen ist, oder du lernst mich von einer anderen Seite kennen, mein Liebchen.«
Mirke stöhnte unter dem Griff seiner Hand. Widerwillig gab er sie frei.
»Wird’s bald, Mädchen? Oder soll ich es vor allen Leuten aus dir herausprügeln?«
Das Blut rauschte ihm in den Ohren, während sie ihn ungerührt musterte.
Sie drehte sich nach dem Wirt um.
»Noch zwei Becher, Spieß.« Dann wandte sie sich mit einem zuckersüßen Lächeln wieder dem Scharfrichter zu.
»Treib’s nicht auf die Spitze, Mädel!«
Zähneknirschend wartete er, bis der Wirt die Becher an ihren Tisch gebracht hatte. Sie trank einen Schluck. Er konnte
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