Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
stellte diese auf dem großen Tisch ab, um sich dann ein wenig schüchtern zurückzuziehen.
»Kommt.« Der Waldenserprediger erhob sich und nickte ihnen auffordernd zu.
Er sprach ein einfaches, kurzes Tischgebet, wie Cristin es schon von Bastian kannte. Das Essen, an dem außer ihnen und Cambios Familie auch zwei junge Männer teilnahmen, die auf dem Weg in die Lombardei waren, verlief in gedrückter Atmosphäre. Die beiden Handwerksburschen, die sich der Waldenserkirche erst vor kurzem angeschlossen hatten, waren am Morgen aus Ravenna angereist. Dort sei es in den letzten Wochen immer wieder zu heftigen Angriffen gegen die kleine Gemeinschaft gekommen. Daraufhin hätten sie beschlossen, die Stadt zu verlassen.
Während sich die Männer leise unterhielten, fasste Cristin gedankenverloren nach Baldos Brosche und ertastete die Einkerbungen der Kogge. Bald schon entspannte sich die Stimmung. Es war den Anwesenden anzusehen, wie viel Kraft ihnen die Gemeinschaft der Gläubigen schenkte. Signor Cambio holte eine aus Weidenholz geschnitzte Flöte hervor, Guiseppina tat es ihm gleich, und bald zauberte die einfache Melodie, die den Gesang der Waldenser begleitete, ein Lächeln in die Gesichter der Menschen, die sich um den Tisch versammelt hatten.
»Wovon handelt das Lied?«, wollte Cristin wissen.
»›Wir wollen nicht wanken, noch weichen. Wir wollen zusammenstehn‹«, übersetzte Bastian leise. »›Wolln stolz Waldenser heißen, für Jesus im Kampfe stehn. Lux lucet in tenebris , Licht leuchtet in der Finsternis, der Herr geht uns voran, der Herr geht uns voran. Wir wollen den Posten halten, auf dem wir jetzt trutzig stehn, im Glauben an Gottes Walten, in keiner Gefahr vergehn.‹«
24
D ie Nacht nach ihrer Ankunft in Verona wollten die drei in demselben Gasthaus in der Nähe des verfallenen Gebäudes verbringen, in dem sie schon auf ihrer Hinreise genächtigt hatten.
»Sagt einmal, Bastian, wozu hat diese Anlage eigentlich einmal gedient?«, wollte Baldo wissen, während sie in der Gaststube ein einfaches Abendessen zu sich nahmen.
» Man nennt es Arena oder Amphitheater.« Landsbergs Stirn umwölkte sich. »Die Vorfahren der Italiener haben es gebaut, vor langer Zeit, als unser Herr auf Erden wandelte. In Rom soll es etwas Ähnliches geben. Damals diente es zur Unterhaltung des Volkes. Angeblich hat es Tausende Zuschauer gefasst.«
» Wirklich erstaunlich«, stieß Baldo hervor, doch die Miene seines Gegenübers hatte sich weiter verfinstert.
»Nichts, was unsere Bewunderung verdient. Hier sind Menschen gestorben, lieber Freund, viele Menschen. Sogenannte Gladiatoren traten gegeneinander an, Mann gegen Mann, bis einer von ihnen das Leben aushauchte. Andere mussten gegen Löwen oder Bären kämpfen, wenn sie nicht zerfleischt werden wollten.«
» Und heute?«, hakte Cristin nach. »Diese Arena sieht nicht aus, als ob sie noch genutzt würde.«
» Nur wenige Jahre, bevor ich geboren wurde, hat es im Süden des Reiches ein furchtbares Erdbeben gegeben. Mein Vater erzählte mir davon, als ich alt genug war, es zu verstehen. Es soll das schlimmste Beben gewesen sein, das die Welt jemals erlebt hat. Dazu kam die Pest, Feuer fiel vom Himmel und verbrannte ganze Städte. Die Menschen glaubten damals, die Welt ginge unter.«Langsam sprach Bastian weiter. »Das hier ist ein Ort des Todes. Es ist noch nicht lange her, seit hier die letzten Katharer verbrannt wurden. Fast zweihundert Männer und Frauen sollen es gewesen sein.«Als der Bernsteinhändler Baldos fragenden Blick bemerkte, setzte er hinzu: »In den Augen des Heiligen Vaters«, er verzog angewidert das Gesicht, »waren auch all die Männer und Frauen, die sich vom Papsttum abkehrten sowie das Verehren der Reliquien und das Töten und den Verzehr von Tieren ablehnten, nichts als Ketzer, die es auszurotten galt. Genau wie wir Waldenser. Und ich fürchte, inzwischen ist es Roms Bluthunden gelungen.«
Wieder einmal staunte Cristin über das Wissen des Bernsteinhändlers und Laienpredigers.
Als Cristin und Baldo am nächsten Morgen in die Gaststube hinuntergingen, um sich für die Weiterreise zu stärken, steuerte Bastian auf sie zu und ließ sich neben Baldo auf einer Bank nieder.
»Ich hoffe, Ihr beiden hattet eine angenehme Nacht?«
Cristin entging das leichte Lächeln nicht, das die Lippen des Freundes umspielte. Sie spürte, wie sie errötete, und dachte daran zurück, wie sie und Baldo sich damals geliebt hatten, von Bastian nur durch eine dünne
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