Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
beraten, das wird euch nicht entgangen sein.«
»Sicher, ihr habt lange genug die Köpfe zusammengesteckt, während wir Weiber mühsam Holz für das Feuer gesammelt haben«, erwiderte eine der älteren Frauen gelassen.
Ein paar andere pflichteten ihr bei.
»Wir machen uns Sorgen, große Sorgen«, fuhr Joschka fort, ohne auf die Bemerkung einzugehen. »Mittlerweile versucht die Obrigkeit beinahe täglich, uns von den Marktplätzen fernzuhalten. Vermutlich stecken mal wieder die Kupferschmiede dahinter. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Kesselschmiede uns als Bedrohung ansehen, weil wir ihnen die Kundschaft wegnehmen.«
Über die züngelnden Flammen hinweg wechselten die Männer und Frauen bestürzte Blicke.
Auch Piet hatte den Eindruck, dass die Ablehnung gegenüber den Cygani stark zunahm. Erst am vergangenen Tag hatte er vor dem Portal einer Kirche zwei Priester miteinander sprechen hören. Die Juden hätten Christus gekreuzigt, aber es seien die Kalderash gewesen, die die Nägel dafür geschmiedet hätten.
Joschka wischte sich die laufende Nase am Ärmel seines Mantels ab. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die Bevölkerung des ganzen Landes gegen uns aufgewiegelt haben und sich ähnliche Situationen wie neulich mit den Rittern wiederholen werden.«
Tamina wandte sich vom Feuer ab und verbarg ihr Gesicht, aber Piet konnte sehen, wie ihre Schultern in stummem Schmerz zuckten.
Auch Joschka hatte die Reaktion seiner Frau verfolgt und räusperte sich. »Wie es aussieht, sind unsere Frauen und Kinder hier nicht mehr sicher.«
Nur das Knacken und Knistern der feuchten Holzstücke im Feuer unterbrach die bedrückende Stille, die auf seine Worte folgte.
Dann meldete sich Velky zu Wort und ließ den Blick über jeden Einzelnen der Gruppe schweifen. »Lange Zeit haben wir gehofft, hier tatsächlich eines Tages bleiben zu können.« Er lächelte verlegen. »Oder zumindest feste Plätze zu finden, an denen wir unsere Dienste anbieten können. Doch die Vorfälle der letzten Zeit belehren uns leider eines Besseren.«
Eine junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm erhob sich und strich ihren Rock glatt. Im Schein der Flammen wirkte sie verhärmt und um Jahre älter, als sie gewiss war.
»Nenn mir nur einen Ort, an dem nicht mit Fingern auf uns gezeigt wird!« Ein Raunen ging durch die Gruppe. Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen. »Wir haben vier Kinder, unser Jüngster hängt noch an meiner Brust. Sag mir, Joschka, wo sind wir denn sicher? Wann werden wir endlich ohne Furcht sein?«
Piet, der das Gespräch bisher stumm verfolgt hatte, zog Marianka dichter an sich, um ihr ein wenig von seiner Wärme abzugeben. Seine Umgebung schien vor seinen Augen zu verschwimmen, als würde ein halb durchsichtiger Vorhang ihr die Konturen nehmen, und die Stimmen der Kalderash vermischten sich zu einem einzigen Summen. Leiser und leiser wurde es, bis es schließlich ganz verstummte. Und dann war da plötzlich dieses Rauschen in seinen Ohren, ein Rauschen wie von den Flügelschlägen riesiger Vögel über ihm. Sie schrien einen Namen.
Der Gedanke traf ihn wie ein Blitzschlag. In dem Traum neulich war es Frühling gewesen. Mit Sicherheit waren es Bilder aus der Zukunft, die frisch erblühten Bäume, das schimmernde Sonnenlicht. Nun wusste er auch, in welche Richtung er geflogen war! Piet sprang auf. Mit einem Mal verstand er diesen verflixten Traum, alles lag so deutlich vor ihm, als blickte er durch einen Spiegel.
»Nach Westen, meine Freunde!« Er lächelte, denn reine Freude jagte durch seine Adern. »Wir sollten in westliche Richtung ziehen, ins Reich.«
»Nach Westen?«, rief Velky aus, und auch auf den Mienen der anderen zeigte sich Verblüffung.
Piet spürte Mariankas fragenden Blick auf sich gerichtet und erwiderte ihn ruhig.
»Wieso gerade jetzt? Und warum dorthin, Narr?« Ein Mann in den besten Jahren hatte das Wort ergriffen. Er machte eine ausladende Handbewegung. »Schau dich um, Piet. Mit uns reisen mehr Kinder, als ich an beiden Händen zählen kann. Also nenn uns einen guten Grund, warum wir zu dieser Jahreszeit in den Westen reisen sollten, oder behalte deine Fantasien besser für dich.«
Joschka legte dem Älteren, der neben ihm saß, eine Hand auf die Schulter. »Ich bin mir sicher, Piet wird uns gleich alles erklären, ist es nicht so?«
Dieser biss sich auf die Zunge. Er saß in der Klemme. Schließlich konnte er den Kalderash nicht von seinen seltsamen, drängenden
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