Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
bat Hinrick Hohusen um Hilfe.
Am folgenden Tag saß Cristin dem Zunftmeister gegenüber. Ihre Hände wurden feucht, während sie berichtete, was ihnen widerfahren war. Der Blick des Mannes mit dem fein geschnittenen Gesicht war voller Anteilnahme.
»Das tut mir von Herzen leid, Frau Schimpf. Weiß man inzwischen, wie es zu dem Feuer gekommen ist?«
»Mein Mann und ich sind erst vor zwei Tagen nach Hamburg zurückgekehrt«, erwiderte Cristin. »Weder unsere Lohnarbeiterin noch den Zunftknecht, den wir vor unserer Abreise eingestellt haben, trifft eine Schuld, so viel ist sicher.«
»Dann ist es ja gut.«
Hinrick Hohusen erhob sich aus dem gepolsterten Lehnstuhl. Er trat an eines der gelblichen Fenster, das aus einem Dutzend runder, in Blei gefasster Scheiben bestand, und sah hinaus auf die Dächer und Kirchtürme der Hansestadt. Er schwieg einige Augenblicke lang, dann sprach er weiter, ohne sich zu Cristin umzudrehen.
»Ihr müsst mir glauben, dass ich Euch gern mit einer gewissen Summe unter die Arme greifen würde. Allerdings kann ich das nicht allein entscheiden. Die nächste Versammlung unserer Mitglieder findet erst in einer Woche statt. Bis dahin müsst Ihr Euch gedulden.« Er wandte sich um. »Kommt einfach hinzu und tragt Euer Anliegen vor. Ich muss Euch allerdings mitteilen, dass unsere Kasse zurzeit«, er verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene, »nicht gerade gut bestückt ist, um es vorsichtig auszudrücken.«
Cristin nickte, bemüht, sich die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
»Ich werde dennoch kommen. Würdet Ihr wenigstens ein gutes Wort für mich einlegen?«
»Wie ich schon sagte, ich tue, was ich kann.« Der Zunftmeister reichte ihr die Hand. »Bis dahin lebt wohl.«
33
E ine Woche später betrat Cristin das zweistöckige Gebäude am Rödingsmarkt, in dem sich die Hamburger Goldspinner zu ihrer monatlichen Sitzung versam melt hatten. Sie stieg die schmale Treppe aus Eichenholz empor, atmete tief durch und legte die Hand auf die Klinke. Sie zögerte und lauschte auf die Männerstimmen, die aus dem Raum drangen. Schon einmal hatte sie den Mitgliedern der Goldspinnerzunft gegenübergestanden, als es darum ging, ob es ihr gestattet werden sollte, als Frau – noch dazu ohne einen Meisterbrief – eine Goldspinnerei zu führen. Die Tür öffnete sich, und sie sah sich einem vierschrötigen Mann mit längst ergrautem Vollbart gegenüber.
»Cristin Schimpf, kommt doch herein. Wir erwarten Euch bereits.« Sein Blick heftete sich kurz auf ihren gewölbten Leib, dann trat er zur Seite und gab den Weg frei.
Cristin ging an ihm vorbei und auf die Männer zu, die rund um einen großen, von Pergamenten bedeckten Buchentisch versammelt waren und sie aufmerksam musterten. Unter ihnen war auch Friedhelm Weber, der junge Geselle, den sie vor ihrer Abreise eingestellt hatte. Ob er inzwischen eine neue Anstellung gefunden hat?, fragte sie sich flüchtigund wandte ihre Aufmerksamkeit Hinrick Hohusen zu, der am Ende des Tisches saß und sich erhob. Die anderen Zunftmitglieder, gut zwei Dutzend Männer unterschiedlichen Alters, taten es ihm gleich.
»Gott zum Gruße, Frau Schimpf.« Der Zunftmeister deutete eine Verbeugung an und wies auf einen freien Stuhl.
Cristin ließ sich darauf nieder. Der Weg zu Fuß durch die halbe Stadt sowie die steile Treppe hinauf ins oberste Stockwerk des Zunfthauses hatten sie ermüdet.
Eine Magd kam herein und schenkte den Anwesenden den zünftigen Morgentrunk ein, um sich dann zurückzuziehen. Die Schwangere lehnte dankend ab. Nachdem die Magd den Raum verlassen hatte, griff der Zunftmeister nach einer kleinen Glocke und läutete zum Zeichen, dass die Sitzung nun begann. Die Männer erhoben sich und legten ihre Waffen ab, wie es Brauch war. Danach öffnete der Zunftmeister die auf einem Podest stehende Amtslade. Mit feierlichen Mienen nahmen die Anwesenden wieder Platz.
Cristins Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, widmeten sich die Zunftmitglieder doch zunächst anderen Angelegenheiten,die geregelt werden mussten. Ein Lehrling wurde von seinem Meister und den anderen freigesprochen, ein wandernder Geselle begrüßt. Schließlich jedoch war es so weit, und Hohusen forderte sie auf, ihr Ansinnen vorzutragen.
»Wie Ihr wisst, hat ein Feuer mir im letzten Jahr alles geraubt, was ich besessen habe.« Sie bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen, und heftete den Blick auf Friedhelm Weber. »Weder Ihr noch Minna, meine treue
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