Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
resigniertem Gesichtsausdruck berichtete. Auch das Konzert für den kommenden Abend wurde ihr untersagt, ebenso alle anderen Verpflichtungen.
»Euer Medicus ist ein weiser Mann«, nickte Cristin und tastete den Bauch der Schwangeren ab, nachdem die Königin die Dienerinnen aus dem Raum geschickt hatte.
Sie stutzte, denn in ihren Fingern spürte sie plötzlich das altbekannte Kribbeln, und ein heftiger Schwindel überfiel sie jäh. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild aus Licht, schimmernd in Rot- und Blautönen, die sich ständig veränderten, beinahe so, als könnte sie ins Innere der Königin schauen. Im nächsten Moment erkannte sie die Silhouette des Ungeborenen, umhüllt von einer zarten, schützenden Haut. Mit jedem Herzschlag wurde Blut durch die Adern gepumpt, hin zu dem Körper des Kindes, in einem stetigen Rhythmus. Da war ein zweiter Puls, viel schneller als der erste. Wärme. Kraft. Cristin zog die Finger zurück, schloss kurz die Augen und atmete auf.
»Liebste Freundin? Fehlt dir etwas?« Jadwigas Augen ruhten fragend auf ihr.
Cristin sah auf. »Nein, es geht mir gut. Und wie ich sehe, steht auch bei Euch alles zum Besten.« Cristin legte die Hände in den Schoß. »Kann ich noch etwas für Euch tun, Majestät?«
»Oh ja, das kannst du, indem du aufhörst, mich mit meinem Titel anzusprechen. Habe ich dich nicht mehrfach darum gebeten?«
Blut schoss in Cristins Wangen. »Gewiss, das habt Ihr, Maj…« Sie wagte nicht den Kopf zu heben. »Doch es scheint mir nicht richtig zu sein.«
»Seit ich ein kleines Kind war, hat man mich auf meine Rolle als Königin vorbereitet«, sprach Jadwiga wie zu sich selbst. »Ich wurde in Theologie und Sprachen unterrichtet, lernte mich angemessen zu benehmen. Alle möglichen Bediensteten meiner Eltern scharwenzelten ständig um mich herum und waren stets um mein Wohlergehen besorgt.« Das Gesicht der Königin umschattete sich. »Nur einen Freund konnte ich nie mein Eigen nennen. Jemanden, mit dem ich lachen und mich schmutzig machen konnte. Einfache Dinge wie im Heu schlafen, sich alberne Witze erzählen oder durch Pfützen laufen, davon habe ich als Mädchen immer geträumt.« Jadwiga lächelte, doch es wirkte traurig. »Dafür saß ich beinahe täglich an der Schalmey oder Harfe und übte oft stundenlang. Das schenkte mir Freude und ließ meinen Trübsinn verfliegen.«
Sie streichelte Cristins Hand, die ihrerseits die Hand der Freundin ergriff und sie in stillem Verständnis drückte.
»Die Zeit der Kindheit ist lange vorbei. Im Heu habe ich bis heute nicht geschlafen. Aber du, meine Liebe, stehst mir näher, als alle Menschen zuvor. Willst du mir nicht den Gefallen tun und das furchtbare Hoheit wenigstens lassen, wenn wir allein sind?«
Cristin schluckte, nickte nur zögernd, denn sie brachte kein Wort über die Lippen.
»Magst du mir ein Weilchen Gesellschaft leisten? Es langweilt mich sehr, hier so untätig zu liegen.«
»Gern, Ho… Jadwiga, nur …«
»Nur was?«
»Ich müsste noch etwas arbeiten.«
Cristin berichtete der Königin von dem Auftrag des Klosters, ein liturgisches Gewand anzufertigen, und von dessen Bedeutung für ihre Goldspinnerei.
Die Königin wirkte erstaunt. »Du hast das Gewand mit auf den Wawel genommen, den ganzen Weg von Hamburg hierher nach Polen?«
»Natürlich. Unterwegs habe ich allerdings große Ängste ausgestanden, die Kiste könnte beschädigt oder gestohlen werden.«
Jadwiga lachte hell auf und hielt sich den Bauch. »Du bist eine Frau nach meinem Herzen! Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, gibst du nicht auf, nicht wahr? Selbst wenn es darum geht, etwas so Kostbares wie dieses Gewand mit in die Fremde zu nehmen, weil du gerufen wurdest.«
Cristin kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Mein lieber Mann hat damit auch so seine Nöte.«
In den Augen der Königin blitzte es. »So wie du mit ihm?« Sie strich ihr über den Arm. »Ihr seid so verschieden wie Tag und Nacht, und dennoch passt ihr prächtig zueinander.«
Sie läutete eine Glocke, die neben ihr auf einem Tisch stand. Die Tür öffnete sich und eine Dienerin betrat das Gemach.
»Geh in Agnes’ Gemächer und bring uns den Stickrahmen und die Kiste.«
»Er ist mit einem Tuch bedeckt und steht neben dem Bett«, ergänzte Cristin.
Die Zofe nickte und verließ den Raum. Zwischen den beiden Frauen wurde es still. Jadwiga sah zum Fenster hinaus, streichelte mit einer ihrer beringten Hände zärtlich über den Bauch. Ihr Gesicht nahm eine
Weitere Kostenlose Bücher