Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Kopfbedeckungen begegnet. Mit Staunen hatte sie verfolgt, wie sie ihre Musikinstrumente von Dienern ins Schloss tragen ließen. Die dunkle Haut der Fremden schimmerte weich wie Samt, ihr Haar war kurz und kraus, und ihre Augen leuchteten wie Kohlen. »Mohren« wurden sie genannt, so hatte es ihr jedenfalls Ewa erklärt.
Cristin verfolgte den Trubel in der Burg mit Besorgnis, doch Jadwiga hatte fröhlich aufgelacht.
»Schau nicht so streng, meine Liebe. Musizieren ist für mich die schönste Art der Entspannung.«
Beim Anblick der glückstrahlenden Miene ihrer Freundin hatte Cristin geschwiegen.
Sie beugte sich nun wieder über den Stickrahmen mit dem aufgespannten Gewand, das sie eigens mit zum Wawel genommen hatte. Die Mutter Oberin hatte ihr genaue Anweisungen wegen der Motive erteilt, die sie auf dem Stoff wünschte. Weinreben und Brotlaibe sollten die Ärmel und den Saum schmücken. Das liturgische Gewand musste besonders schön werden, zu viel hing für die Goldspinnerei von diesem Auftrag ab. Cristin betrachtete prüfend ihr Werk. Bis zur Fertigstellung würden noch einige Wochen vergehen – wenn sie gut vorankam.
Liebliche Töne erfüllten diesen Teil der Burg bis in den letzten Winkel. Wer auch immer da spielte oder sang, musste ein Meister seines Faches sein. Einen kurzen Moment lang ließ Cristin sich von den sanften Melodien treiben, und die tiefen Töne schienen in ihrem Leib widerzuhallen. Ihre Gedanken gingen auf Reisen, zu dem Haus in Hamburg. Zu Baldo.
Wie sie ihren Gatten kannte, kam er noch weniger mit der Trennung zurecht als sie. Einzig Minna wäre imstande, Baldo ein Lächeln zu entlocken. Besonders wenn sie ihm seine Leibgerichte kochte. Die Lohnarbeiterin wusste, wie sie mit ihrem Herrn umzugehen hatte. Sie würde schon dafür sorgen, dass Baldo mit seinem oft wortkargen oder abweisenden Wesen nicht die Kunden der Goldspinnerei verscheuchte. Und Lump? Wenn ihr Mann nicht achtgab, trieb der Hund mit den Nachbarskatzen und den Hühnern sein Unwesen, bis selbst das letzte Lebewesen im Umkreis des Hauses begriff, wer dort das Sagen hatte. Ja, und des Nachts lag der Hund gewiss nahe Baldos Schlafstatt und wachte über seinen Herrn.
Cristin fuhr zusammen und leckte sich einen Blutstropfen vom Finger. Das hast du nun davon, wenn du beim Sticken unaufmerksam bist, rügte sie sich selbst. Ihre Augen brannten, denn sie hatte ihr Gemach nur schwach beleuchtet, um Elisabeths Schlaf nicht zu stören, die unweit von ihr in einem aus edlem Holz gefertigten Kinderbett lag, das zwei Diener am Tag nach ihrer Ankunft hereingetragen hatten.
Die sanfte Melodie trieb ihr Tränen in die Augen. Tief berührt stellte Cristin den Stickrahmen neben ihr Bett, verhüllte ihn mit einem Tuch und ließ sich auf einen Sessel sinken.
Sie schloss die Augen und versank in einen Traumzustand. Baldo hielt sie mit beiden Armen umfangen, während sein vom Schlaf gelöst wirkendes Gesicht halb im Dunklen lag. Cristin schmiegte sich an seine Brust, lauschte den regelmäßigen Herzschlägen und seinem Atem, der ihren Nacken streifte. Harfenklänge drangen verschwommen zu ihr herüber und verbanden sich mit den tiefen Atemzügen ihres Geliebten zu einer gemeinsamen Melodie. Die Wärme seines Leibes übertrug sich auf ihren, mit rauen Fingern streichelte er Cristin schlaftrunken über den Rücken und zeichnete die Konturen nach. Dann murmelte er etwas Unverständliches und legte eine Decke um ihre Nacktheit.
»Herrin!«
Sie lächelte und ließ sich in die wohligen Nebel des Schlafes zurücksinken. Nur ein kurzer Misston in der lieblichen Melodie, dann wurde es wieder still. Ein zweiter Körper neben ihrem, viel kleiner jedoch. Der süße Geruch von Milch umwehte sie, und eine kleine Hand legte sich in ihre.
»Herrin! Herrin Agnes!«
Die Stimme drang aus unendlicher Entfernung zu ihr, schien vom Wind getragen zu werden und unterbrach mit hohen Tönen die Harmonie des Augenblicks.
»Bitte! Ihr müsst aufstehen! Herrin!«
Schrill hingeworfene Worte, die sie nicht verstand, gellten ihr in den Ohren. Cristin atmete tief, öffnete die Lider. Zunächst nahm sie nichts außer Schemen wahr, dann wurde ein rundliches Gesicht deutlich, das sich, direkt über sie gebeugt, bleich von der Dunkelheit abhob.
»Herrin! Hört Ihr mich? Bitte, Ihr … Ihr müsst kommen! Rasch!«
Mit einem Satz sprang sie auf und rieb sich das Gesicht. Sie musste tatsächlich im Sessel eingeschlafen sein. Eine der Hofdamen stand vor ihr und rang die
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