Das Gold von Karthago
die Rolle. »Das? Nein. Das wurde eben für dich abgegeben. Ein Straßenjunge.« Er hielt ihm den Papyros hin.
Bomilkar bleckte die Zähne. »Muß ich das jetzt lesen?«
»Lies es.« Laetilius starrte die Rolle an, die Bomilkar in der Hand hielt wie eine Schlange, die vielleicht doch giftig ist. »Lies es jetzt. Zur Befriedigung meiner Neugier. Morgen ist es zu spät.«
»Inwiefern?«
»Morgen, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, verläßt ein Schiff den Hafen. Ein kretischer Händler, der Neapolis anlaufen will. Von dort reite ich nach Rom. Mein Gepäck ist schon an Bord – bis auf das Schwert.«
»Ah.« Bomilkar ließ sich auf einen Stuhl sacken. »So eilig? Wir hätten da noch drei bis elf Dinge zu bereden, alter Feind.«
Mago zog sich leise pfeifend zum Ausgang zurück.
»Nicht so viel, wie du meinst.« Laetilius lächelte Aspasia an. »Die wichtigen Dinge hab ich ihr gesagt. Lies.«
»Schwarzes Schwein«, knurrte Bomilkar. Dann entrollte er den Papyros, las, ließ ihn sinken, sah die beiden blicklos an und bewegte den Mund in stummen Flüchen.
»Was ist es?« Laetilius beugte sich vor – neugierig oder erwartungsvoll.
»›Wenn du den Juden lebend willst, komm sofort allein zu Laqashus Hinterhof.‹ Das ist alles.«
»Wo ist das?«
»In Hafennähe, am Rand des Metökenviertels. Laqashu ist Segelmacher.«
»Willst du Daniel lebend?«
»Blöde Frage.«
Aspasia sagte leise, aber entschieden: »Und allein läufst du nicht in diese Falle, hörst du?«
Bomilkar schloß die Augen, öffnete sie wieder und hob den Arm. »Autolykos, Zililsan, kommt bitte her. Sind die Männer nur vollgefressen oder auch betrunken?«
Der Hafen lag kaum mehr als fünfhundert Schritt östlich des Gewirrs kleiner Gassen und Höfe, aber er hätte am anderen Ende der Oikumene sein können für einen, der sich nicht auskannte. Bomilkar bemühte sich, immer mitten auf der Gasse zu gehen, wo ihn zwischen den dunklen, ungleich hohen Häusern hin und wieder ein Mondstrahl traf. Er wußte, daß er beobachtet wurde. Seinerseits beobachtete er, ohne anderes zu sehen als die Häuser, die sich aneinander lehnten; einige schienen vornüber taumeln zu wollen, andere saßen gewissermaßen auf den eigenen Fersen, rückwärts gelehnt. Offene Fensterhöhlen wie tote Augen, andere Öffnungen verhängt oder mit Läden verschlossen. In manchen Eingängen bewegten sich Schnurvorhänge im leichten Nachtwind. Die flachen Dächer waren in diesen heißen Sommernächten Schlafplätze der Bewohner, was die Annäherung seiner Leute ebenso erschweren würde, wie es die Beobachtung durch den Gegner – wer immer dies sein mochte – behindern mußte.
Durch einen unverputzten Torbogen aus rissigen Ziegeln gelangte er auf den Hof, der zur Werkstatt des Segelmachers Laqashu gehörte. Dort war niemand zu sehen oder auch nur in den Schatten zu ahnen. Bomilkar näherte sich dem Ende der Hoffläche, wo ein hinfälliger Bretterzaun stand. Dahinter erstreckte sich, soweit er es im Mondlicht sehen konnte, ein wild überwuchertes Gartenstück bis zum nächsten Haus.
Eine Bewegung zwischen den Pflanzen. Ein mondfahles Gesicht erschien am Zaun – ein Junge, nicht älter als zehn oder elf.
»Bist du Bomilkar?« flüsterte er.
»Ja.«
»Komm.« Der Junge wies auf eine Lücke, ein paar Schritte links von Bomilkar.
»Wohin bringst du mich?«
»Du wirst es sehen.«
Bomilkar zermalmte einen Fluch zwischen den Zähnen. »Ich gehe keinen Schritt, ehe ich nicht mehr weiß.«
Der Junge zögerte. Hinter ihm bewegte sich etwas; dann sagte ein Mann halblaut: »Der Wächter ist wirklich allein gekommen.«
Ein anderer Mann, dessen Stimme ihm ebenso unbekannt war wie die des ersten, antwortete: »Sag ihm, er ist sicher, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht.«
»Meine Leute wissen, wo ich bin«, sagte Bomilkar.
»Das war zu erwarten. Komm, durch den Zaun.«
Bomilkar bückte sich und kroch auf die andere Seite. Der Junge war verschwunden. Zwischen zwei hohen Sträuchern stand ein Mann mit verschleiertem Gesicht. Er winkte ihm, drehte sich um und ging in die wuchernde Finsternis.
Bomilkar folgte hinkend. Nach ein paar Schritten auf dem schmalen Pfad bemerkte er, daß jemand hinter ihm ging; wahrscheinlich der andere Mann. Er wandte sich kurz um, sah aber nur die Umrisse eines weiteren Verschleierten.
Sie kamen zu einem zweiten Zaun, stiegen darüber, erreichten die Rückseite des Hauses. Drei Stufen führten zu einer Art Terrasse, die von durchhängenden morschen
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