Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
bloß.«
»Ich könnte es sagen«, meint
Kerstin und schaut feixend ihre Schwestern an.
»Dann sag’s.« Die beiden
Brötchen sind schon wieder weggemampft.
Kerstin aber sagt es nicht, sie
singt es. »Ssön ißt die Liebe im Hafen, ssön ist die Liebe ssu See.«
»Von mir aus«, sagt Trixi und
tut enorm gleichgültig.
»Von mir aus siehst du rot
aus«, sagt Kerstin und beobachtet interessiert, wie Stirn, Wangen und Hals der
Kabinengenossin aufglühen wie Gipfelschnee im Abendsonnenschein. »Weißt du
noch, wie du ihm zum erstenmal begegnetetest«, sagte sie und kommt nicht wieder
‘runter von diesen schrecklichen deutschen »T’s«.
Sie zitiert genüßlich: »Was
quetschest du die arme Dinger, was ssnürest du sie ein? Ach, erlaube meinem
Finger, daß er sie darf befrein.« Kerstin, Kristiane und Karen müssen furchtbar
lachen.
»Ihr seid albern.« Wie üblich
ärgert sie sich über das blöde Rotwerden. Das hat sie von ihrer Mutter. Und was
man von der Mutter hat, wird man nicht wieder los.
»Wir sind nicht albern, wir
sind neubegierig. Erssähle, ach bitte! Du hast noch nix erssählt von die
Kutchenfahrt. Das ist nischt fair. Und wir haben ihm dir beigebracht.« Die
Nielsens sind jetzt geschlossen beleidigt.
Soll’n sie, denkt Trixi, mir
ist es wurscht. Aber gerade das hätte sie nicht denken sollen, weil sie nämlich
sofort an »Wurst« denken muß. Und zwar an frische Blut- und Leberwurst. Die
hatte es zu Hause in Stuttgart jeden Freitag gegeben, weil freitags
geschlachtet wurde. Stuttgart, die Metzgerei in der Kirchstraße (mit Blick auf
das Schillerdenkmal), die Mutter in ihrem weißen Kittel am Hauklotz— Himmel,
wie unendlich weit schien das alles. Und plötzlich riecht sie, wie die
Metzelsuppe duftete, wenn man die Scheibe Schwarzbrot hineinbröckelte.
»Nierle, Briesle, Knöchle,
Ripple«, sagt sie verträumt. »Heiligs Blechle, un’ Linse mit Spätzle,
Gaisburger Marsch war a net zwider, saumäßig gut wär’s sogar. Ha no.« Die
Nielsens starren sie an, als spräche sie chinesisch. Es ist aber gar nicht
chinesisch, obwohl »ha no« so klingt, es ist nur schwäbisch. Trixi spricht
immer schwäbisch, wenn sie aufgeregt ist oder wütend ist oder wenn sie Heimweh
hat. Es ist ja ihre Muttersprache.
»Noch ein paar Brötchen, das
gnädige Fräulein?« Vor ihr steht die ältliche Diätschwester mit ihrem
Wägelchen. Wer an Nierle— Briesle— Ripple denkt und knochentrockene Brötchen
angeboten bekommt, möchte hochgehen wie Apollo dreizehn kurz nach dem
Countdown. Trixi geht nicht hoch, sondern greift zu. In der Not frißt der
Teufel nicht nur Fliegen.
»Sie sind richtig lieb zu mir«,
sagt sie und fügt gedankenlos hinzu: »Warum eigentlich...«
Die ältliche Diätschwester wird
sofort verlegen, murmelt etwas wie: »Bin zu allen gut« und verschwindet
ziemlich hastig. Trixi will sich gerade anfangen zu wundern, aber da sieht sie
die Schinkenstulle.
Die Schinkenscheiben auf der
Schinkenstulle sind rosa, haben schmale weiße Fettstreifen und fallen bis über
den Tellerrand hinab. Zwei grasgrüne Gurkenscheiben, ein paar weiße
Zwiebelchen, ein großes Salatblatt bilden einen wirkungsvollen Farbkontrast.
Zum Malen schön sieht er aus, der Schinken. Westfälischer, denkt Trixi
fachmännisch und hebt die Nase in den Wind wie ein Hühnerhund, vielleicht auch
holsteinischer, jedenfalls Güteklasse A, bauerngeräuchert, mindestens
zwei Jahre abgehangen.
»Na denn«, sagt der Masseur in
diesem Moment, nimmt die Schinkenstulle und will damit in sein kleines an den
Gymnastikraum angrenzendes Büro. Die Schinkenstulle gehört dem Masseur. Es ist
sein Frühstück, das er sich jeden Vormittag aus der Mannschaftsküche holt.
»Moment mal«, hört sich Trixi
rufen, »ich glaube, da draußen wird nach Ihnen verlangt. Der 1. Offizier ist es
wohl.«
»Der Erste?« Der Masseur stellt
den Teller wieder hin und schlüpft beunruhigt in seine Jacke. »Was will denn der ...«
Als die Schwingtür hinter ihm
zuschlägt, hat Trixi die Stulle geschnappt. Sie durchquert den Gymnastiksaal,
eilt vorbei an den total verstörten Nielsens. Sie rennt den Seitengang entlang
in Richtung Backdeck. Sie will in ihre Kabine, will die Tür hinter sich
verriegeln, sich aufs Bett legen, will von nichts wissen, an nichts denken, nur
die Stulle essen. Essen, essen, essen. Am Niedergang zum Zwischendeck steht der
Schiffsarzt und grüßt zu ihr hinüber. Sie eilt weiter, duckt sich am Bug hinter
das Ankergeschirr und sieht einen der
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