Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Decksleute auf sich zukommen. Sie klappt
ihre Stulle zusammen und wetzt über das Schiff. Sie landet auf dem Bootsdeck.
In der Tür der Kommandobrücke sieht sie den breiten Rücken des Kapitäns.
Niemand will mir meine Stulle
gönnen, denkt sie, und ist den Tränen nahe, niemand! Da, das Rettungsboot! Sie
zieht sich an dem umlaufenden Tau empor, sinkt auf Segeltuch und fühlt sich im
selben Moment geborgen. Sie schließt die Augen, nimmt einen tiefen Atemzug, das
Wasser schießt ihr im Mund hin und her, sie beißt hinein in die Schinkenstulle,
ganz langsam, es ist westfälischer, und was für einer, man könnte ohnmächtig
werden...
James P. Stutterbold tritt auf
das Bootsdeck und holt tief Luft. Die Luft ist gut, stellt er fest und geht mit
langen Schritten auf und ab. Er trägt eine Prinz-Heinrich-Mütze, einen Blazer,
dessen Dunkelblau durch einen korallenroten Wollschal effektvoll unterstrichen
wird, dazu lange graue Flanells. Er bleibt neben dem Rettungsboot am
Brückenaufbau stehen, holt einen Zettel aus der Tasche, hüstelt, liest laut
etwas vor.
»…Hämmerte mein Herz wie
rasend«, liest er, »als ich Ihnen das erstemal im Verena-Hold-Center zu New
York gegenüberstand. Schon damals, liebstes Fräulein, schon damals glich mein
Herz einem aufgewühlten Bienenkorb, ich wußte...«
Er stopft den Zettel wieder in
die Tasche. Was redete er da für ein fürchterliches Zeugs? Ein aufgewühlter
Bienenkorb, der wie rasend hämmerte. Wie konnte ein Bienenkorb hämmern?
»Also kurz und gut: Ich mag
Sie, Sie sind mir sympathisch, Darling, wie wär’s denn mit uns beiden?«
Nein. So ging es auch nicht.
Aber wie ging es denn? Fiel man auf die Knie? Legte man die rechte Hand
auf die linke Brustseite wie Rudolph Valentino? Kam man im Sonntagsanzug mit
einem Strauß frischer Feldblumen?
»Ich weiß es nicht, ich weiß es
nicht.« Stutterbold weiß es wirklich nicht.
Er weiß überhaupt nichts von
Frauen. Zumindest hat er zu ihnen ein gestörtes Verhältnis. In den vierzehn
Jahren seiner Tätigkeit bei der »Verena-Hold-Cosmetic« glaubte er, sie
gründlich kennengelernt zu haben. Für ihn waren es Geschöpfe, die alles
glaubten, was man ihnen unter dem Motto »Ewige Jugend« auftischte, die sich
alles aufs Gesicht packten, was man ihnen zusammenbraute, die sich für ein paar
Falten weniger dem Teufel verschrieben.
Unmündige Geschöpfe, törichte
Geschöpfe, in jeder Weise manipulierbar, räsonnierte Stutterbold, allenfalls
geeignet als Dekor, als kostspieliges Accessoir, man umgibt sich mit ihnen, man
hält sie sich, aber man verliebt sich nicht.
Verliebtheit war, soviel stand
fest, nichts anderes als ein Zustand partieller Verblödung unter Ausschluß des
Werturteils.
Und diese Beatrix Sommer war
auch noch eine Deutsche. Deutsche sind romantisch, sentimental, treten ständig
die Gefühlsorgel. Wie also machte man einem deutschen »Frollain« einen
Heiratsantrag?
Er kramt seinen Zettel wieder
hervor. »Bald fallen die ersten welken Blätter, bald ist unser wunderschöner
Sommer dahin. Mir ist so bange vor der Einsamkeit.« Das stammte aus einem Buch,
das er in der Schiffsbibliothek aufgestöbert hatte, »1 000 Reden für alle
Wechselfälle des Lebens« hatte der Titel gelautet (Kapitel XIII,
Heiratsanträge, mündlich).
Dort hatte er auch den Satz
gefunden: »Nehmen Sie mich so, wie ich bin. Mit allen meinen Fehlern. Ich habe
die besten Vorsätze, sie abzulegen. Die materielle Basis zur Ehe fehlt mir
keineswegs.«
James P. Stutterbold lehnt sich
mit dem Rücken an das Motorrettungsboot Zwei Strich Elf, TS »Aphrodite«, seufzt
tief und redet seine Rede noch einmal. Im Zusammenhang und von vorn. Nur üie
Raubmöwen auf dem Signalmast scheinen ihm zuzuhören.
Die See ist dunstig. Über das
Vorschiff treiben die Schwaden eines grauweißen Nebels. Cantal hat einen Mann
als Ausguck auf die Back beordert und den Ruderstand besetzen lassen. 360
Passagiere schlafen einem neuen Tag entgegen und träumen von Dingen, die sie
nicht dürfen.
Eine Stunde später beginnt es
aufzuklaren. Durch die Wolkenbank im Westen schiebt sich das kegelförmige Haupt
des Pico del Teide, des Wahrzeichens der Insel Teneriffa. Gegen Mittag wird die
»Aphrodite« an der Pier von Las Palmas festmachen und Treiböl bunkern. Der
Erste zündet sich eine Zigarette an, raucht in langen genüßlichen Zügen, und
schaut durch das Klarsichtfenster auf die See. Vom Funkraum her tönt das
beruhigende
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