Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
sieht ein großes Foto, das ihm
bekannt vorkommt. Es ist zweifellos Erika Radke, das Mädchen, das er in
Lissabon kennengelernt hatte. Das Fräulein Radke als Pin-up-girl des Herrn
Stutterbold, sieh einer an! Er tritt näher und entdeckt einen Bogen mit
Millimeterpapier, auf dem jemand mit Rotstift eine Kurve eingezeichnet hat. Es
ist eine Gewichtskurve.
»Istgewicht 3.8. (Reisebeginn)
73,587 kg«, liest er, »Gewicht 6.8., 74,200 kg. Gewicht 8.8., Gewicht 10.8....«
Und dann sieht er noch ein
Pin-up-girl. Das Girl pinnt an der anderen Schranktür und lächelt ihn an: süß,
bezaubernd, mädchenhaft, hinreißend, entzückend. Nur seine Trixi kann so
lächeln. Es ist Trixi. Auch Trixis Foto ist durch eine Gewichtskurve verziert.
Der Erste starrt und staunt und
überlegt, und ist so verblüfft, daß er beinah das Kläffen zweier Möpse überhört
hätte...
»Prost,
Käp’tn und ex, Käp’tn,
und auf die
christliche Seefahrt, Käp’tn!«
Aber mit
Biblimbing ist nicht zu spaßen.
Zweimal lang einmal kurz—
zweimal lang einmal kurz tönt die Sirene der »Aphrodite«, als sie sich dem
Hafen von Las Palmas nähert. Es ist der Schrei eines Riesen um Hilfe. Die Hilfe
kommt in Form eines winzigen Bootes, das an Steuerbord längsseits geht und im
Sog des Wassers auf- und abschwingt. Es ist das Lotsenboot. Der Lotse trägt
trotz der Hitze einen dicken Rollkragenpullover. Sein Gesicht ist schwarzbraun
von der Sonne Gran Canarias. Tausend Falten hat der Wind hineingegraben wie in
altes Leder. Schweigend stakst er die Treppe zur Brücke empor, um dem Kapitän
beim Einlaufen in sein Revier zu helfen. Er weiß, daß es ohne ihn nicht
geht, und dieses Wissen verleiht ihm Würde.
»Interessanter Kopf«, findet
auch Annegret Radke und beäugt den Lotsen durch ihre Stielbrille. »Der könnte
glatt zum Film. Finden Sie nicht auch?«
Die Frage ist an den Greifer
gerichtet, und der findet es nicht. Zum Film, ausgerechnet, wie sich das diese
Laien immer so vorstellten, als wenn das so einfach wäre, Statisterie, dieser
Lotse, Edelkomparse allenfalls, mehr nicht. Das aber sagt er nicht, er sagt:
»Sie haben einen guten Blick, liebe Annegret« und setzt jenes souveräne Lächeln
auf, das ihm im Fernsehen die Infratest-Note plus 5 verschafft hat.
Der Greifer will Frau Annegret
bei guter Laune halten. Er hat sich sogar entschlossen, mit den Radkes an einem
Landausflug teilzunehmen. Die »Zentrale Inselrundfahrt« haben sie gebucht, die
in die trostlose Kraterlandschaft des Vulkans Bandama führt. Eine zermürbende
Fahrt mit einem der berüchtigten Guaguas steht ihm bevor. Ein Guagua ist ein
spanischer Omnibus, von dem behauptet wird, daß bereits Columbus damit gefahren
sein muß. Dem Greifer wird ganz mies bei dem Gedanken.
»Nehmen Sie unser kleines
Täschchen, lieber Meister?« Frau Annegret unterbricht den Strom seiner
Gedanken, um ihm eine bleischwere Tasche in die Hand zu drücken. Sie trägt
Bermudahemd über apfelgrünen Shorts, goldfarbene Sandaletten, einen Sombrero
und eine wagenradgroße Sonnenbrille. Erika hatte sich zu Niethosen und
quergestreiftem Freizeithemd entschlossen.
Auch die anderen Passagiere
sind so gekleidet, als gingen sie nicht an Land, sondern zum Fasching. Man
sieht Piraten, Zigeunerinnen, Gammler, Großmütterchen, Grandedames und
Kokotten. Ihre Kameraverschlüsse klicken und fangen jene Bilder ein, die an den
Kiosken als Ansichtskarten feilgeboten werden. Feldstecher werden gezückt. Der
Leuchtturm von Isleta taucht auf. Und das halb zerfallene Castillo des Puerto
de la Luz, das von den Tagen altspanischen Glanzes träumt.
»Mein idealer Lebenszweck ist
Borstenvieh, ist Schweinespeck«, dröhnt es durch den Bordlautsprecher. Die
Musik bricht abrupt ab, die Stimme des Schiffsarztes ertönt: »Ich hoffe, daß
Sie nicht so denken wie der Zigeunerbaron, wenn Sie jetzt an Land gehen, meine
Damen und Herren. Ich hoffe, daß Sie nur an Ihre Kalorientabelle denken. Ende
der Durchsage.« Der Doktor ist ein Bursche von unendlichem Humor.
Die drei Schwestern Nielsen
haben nicht die Absicht, an Land zu gehen. Von Natur aus träge, ziehen
Dänemarks Vertreterinnen es vor, das Bordkino aufzusuchen. Dort läuft ein Film,
der die Schönheiten der »Glücklichen Inseln« in Supercolor und Ultrabreitwand
zeigt. Ein »Ausflug«, der sich bei vielen Passagieren steigender Beliebtheit
erfreut.
Auch Trixi hat es nicht eilig,
von Bord zu kommen. Er hat erst abends frei, und ohne ihn interessiert
sie keine
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