Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Leib der
»Aphrodite« durchfurcht die Gewässer des Atlantiks nördlich der Kanarischen
Inseln. Es ist fast windstill. Das Kielwasser quirlt wie Quecksilber. Der
Maschinentelegraf steht auf »Volle Fahrt«. Auf den Streben des Signalmasts
hocken träge die großen Raubmöwen, die von Madeira aus ein Begleitkommando
abgestellt haben. Delphine tauchen backbords aus den Wellen, um im nächsten
Moment an Steuerbord emporzuschnellen. Ihre hellen vergnügten Pfeiftöne
schallen zu den Decks hinauf. Und über allem wölbt sich ein Himmel, der
ausdauernd das tut, was der Reiseprospekt fest versprochen hat: »Er lacht ewig
in südlicher Lust.«
Ein friedliches Bild also, das
die »Aphrodite« bietet, ein Bild von Ferienglück und Urlaubswonne, ein Bild,
das mehr als trügerisch ist.
Das Wort, das die
2.-Klasse-Passagierin Beatrix Sommer in diesem Moment ausspricht, spiegelt die
allgemeine Stimmung an Bord besser wider. Es lautet schlicht »Scheiße«. Trixi
spricht es aus, als sie nach halbstündigem schweißtreibenden Trockenrudern vom
zuständigen Masseur auf das Trockenfahrrad getrieben wird.
»20 Kilometer, bitte, gnädiges
Fräulein, Durchschnittsgeschwindigkeit zirka 30«, sagt der Masseur trocken und
wendet sich Kerstin Nielsen zu, die auf einem mechanischen Pferd trockenreitet.
»Radfahren«, trampelt Trixi und
spürt, wie ihr die Schweißtropfen auf die Oberschenkel fallen, »Radfahren, das
hab’ ich immer sehr gern gemacht, durch die Schwäbische Alb, und so, als
Schulmädel, aber hier..., hier... komme ich mir vor wie...
Wie eine weiße Maus, will sie
sagen, weil sie an die weißen Mäuse denken muß, die in den Treträdern der
Zoogeschäfte herumflitzen. Da sie aber so keuchen muß, kriegt sie die »Maus«
nicht raus. Die Nadel auf dem kreisrunden Geschwindigkeitsmesser schwingt
zwischen 25 Std/km und 30 Std/km. Die Zahlen auf dem Kilometerzähler huschen
vorbei: 100— 200— 400— 600— 900 - 1 000 m.
»Wenn ich mal Millionärin bin«,
keucht sie zu Kerstin hinüber »dann schenke ich allen Leuten, die ich nicht
leiden kann, schenke ich so ein Rad, mit dem man nicht von der Stelle kommt.«
Kerstin Nielsen kann nicht
antworten. Ihr mechanisches Pferd ist durch einen Fehler im Getriebe in einen
nicht programmierten Galopp gefallen. Sie wird hochgeschleudert, wirbelt nach
links, prallt auf die Kruppe, verliert die Steigbügel, klammert sich fest an
den Haltegriffen zwischen den Ohren. Der Masseur schaltet fluchend an den
Hebeln der Automatik. Es knirscht, knackt, es kracht, und plötzlich tut der
hölzerne Gaul etwas, was er eigentlich gar nicht kann: Er bäumt sich und wirft
seine Reiterin ab. Kerstin Nielsen liegt auf der Matte und spricht von der
Zukunft.
»Übermorgen«, spricht sie, »da
wird mein Hinterster aussehen wie eine Landkarte.«
»Warum Landkarte?«
»Weil Landkarten bunt sind.«
Trixi lacht. Aber sonst lacht
niemand über diesen Witz. Weil niemand im Gymnastikraum die Kraft dazu hat.
Auch Kerstins Schwestern nicht, über deren füllige Hüften die Massagegurte
knattern. Springseile peitschen rhythmisch den Boden. Hanteln wirbeln.
Medizinbälle klatschen dumpf. In der Luft liegt etwas vom Geist römischen
Gladiatorentums. Und der Geruch nach Schweiß.
»Gong, gong, gong!« macht ein
versteckter Gong. Frühstückspause. Der Lärm der Turnmaschinen verstummt. Die
Passagiere haben das schöne Gefühl, sich gründlich geschafft zu haben.
Die ältliche Diätschwester
rollt ihren Wagen in den Raum. Auf dem Wagen stehen Schälchen mit
Sauerkrautsalat, Möhren, Magerquark, Bircher-Müsli, Hefeextrakt, Quellweizen,
Spinat-Souffle, Kürbisbrei, Leinsamen, Hagebutte und andere so gut wie
ungenießbare Sachen. Man bedient sich nach Diätplan. Trixi bedient sich mit
einem trockenen Brötchen. Laut Johannes Schroth, der, wie bereits erwähnt, der
Menschheit die Schroth-Kur schenkte, ist heute kein Wein-Tag, sondern ein
Brötchen-Tag.
Sie reißt ihr Brötchen
auseinander und verschlingt die einzelnen Stücke.
»Du hast einen heißen Hunger«,
sagt Kerstin anerkennend.
»Ja«, antwortet sie kauend,
»den habe ich, den heißen Hunger. Besonders in den beiden letzten Tagen. Es ist
mir schon richtig peinlich. Ich denke nur noch ans Essen, ich träume vom Essen,
und schrecklich gierig bin ich.«
Die ältliche Diätschwester
kreuzt wieder auf mit ihrem Wägelchen.
»Ach bitte, geben Sie mir noch
ein Brötchen«, bettelt Trixi und kriegt gleich zwei. »Himmel, dieser Hunger,
woher kommt der
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