Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Kaninchen
halb mit Fell bedeckt, Hammelköpfe mit toten glasigen Augen, Gestank beißt ihr
in die Nase, sie preßt ihr Taschentuch vor den Mund, schaut sich um, gottlob,
er ist weg, sie hat ihn abgeschüttelt, dem Himmel sei Dank!
»Ich dir zeigen Kasbah,
Sultanspalast mit die...«
»Nein!« Sie schreit auf. Der
Bursche steht direkt über ihr auf einem Mauervorsprung, fährt mit der Kante der
flachen Hand an seinem Hals hin und her, es ist das Zeichen des
Kehledurchschneidens. Trixi fängt an zu rennen, die blödsinnige Pfanne wird
immer schwerer, sie wendet sich an einen europäisch gekleideten Mann, der
schüttelt mit dem Kopf, weiter, gibt es denn hier keine Polizisten, die Gassen
werden enger, Lehmwände, von langen Rissen durchzogen, vergitterte Fenster, Bettler,
zwei Armstümpfe strecken sich ihr entgegen, von irgendwoher klingen die auf-
und abschwellenden Klagetöne arabischer Musik.
Zum erstenmal spürt sie Angst.
Durch ihren Kopf rasen die Gedanken: »Geschieht mir ganz recht, Tanger auf
eigene Faust, kindisch geradezu, wirst eben nie erwachsen, und alles nur,
weil..., was René jetzt wohl macht, warum ist er nicht hier, blonde Europäerin
im Orient verschwunden, liest man doch immer wieder, Tanger, Mädchenhölle
Tanger, hieß nicht mal ein Film so, ich sollte die Pfanne wegschmeißen, nein,
mit der Pfanne kann ich mich wehren...«
Sie lehnt sich gegen eine
Mauer, keuchend. Der sengende Wind fährt raschelnd durch eine abgestorbene
Palme. Der Himmel hat sich bezogen. Sie lauscht. Nichts. Stille. Keine
Schritte. Und plötzlich ist er da. Wie aus dem Boden gewachsen. Das
pockennarbige Gesicht zu einem Grinsen verzogen.
Trixi rennt los. Die Pfanne
poltert scheppernd auf das Kopfsteinpflaster. Eine hohe Mauer taucht vor ihr
auf mit einem spitzgiebligen Torbogen. Die schwere Doppeltür ist mit
Eisennägeln beschlagen. Der eine Flügel ist nur angelehnt. Sie stößt ihn auf,
zieht ihn hinter sich zu. Dunkelheit umfängt sie. Langsam dreht sie sich um.
Aus dem Schatten der Wand löst sich eine vermummte Gestalt, kommt auf sie zu.
Trixi spürt, wie ihr die Knie nachgeben, vor ihren Augen tanzen bunte Lichter,
eine große rotschimmernde Woge schlägt über ihr zusammen.
Wenn ein
Schauspieler nicht durch die Röhre kommt,
wenn jemand
Ali, die Fliege, heißt,
und wenn
Allah partout nicht will.
Sie gehen über den Boulevard
Mohammed V., der die Neustadt von Tanger zerschneidet, und Beatus Hügeli
schnauft hörbar. Es ist nicht die Hitze, die ihn schnaufen läßt, es ist ein
Brief, den er eben von der Hauptpost in Tanger abgeholt hat. Er wedelt damit
herum, er steckt ihn in die Tasche seines Tropenanzugs, er holt ihn wieder
heraus, er schüttelt mit dem Kopf, er sagt: »Warum hat sie das getan? Warum?«
Als er es zum siebtenmal fragt,
bleibt der Greifer stehen und sagt gereizt: »Ich weiß es auch nicht.« Er setzt
hinzu: »Was hat sie denn eigentlich getan?«
Er weiß noch nicht mal, wer
»sie« überhaupt ist. Wie üblich hat er nicht zugehört, wenn ein anderer
spricht. Er ist Schauspieler und hat genug damit zu tun, sich selbst zuzuhören
(»In sich hineinzulauschen«). Außerdem hat er andere Sorgen. Eigene. Das
fertige Drehbuch zu Folge 84 (»Der Greifer und die Ratten«) hatte für ihn auf
der Hauptpost gelegen. Mit der alles entscheidenden Szene 23 (»Rückseite des
Lagerhauses. Außen. Nacht. Der Greifer wuchtet den Schleusendeckel hoch und
zwängt sich in die Kanalröhre«).
»Hören Sie sich das an.« Hügeli
packt den widerstrebenden Greifer am mittleren Knopf seines Jacketts und wedelt
mit seinem Brief.
»Muß es hier sein?« Der Greifer
weicht einer Gruppe von Straßenmusikanten aus und drückt sich an die Hauswand.
Sie stehen an der Stelle, wo die Rue Jeanne d’Arc in den Boulevard mündet. Die
Lichtreklamen sind aufgeflammt. Vor den Auslagen der Luxusgeschäfte stauen sich
die Passanten. Über den Asphalt gleiten riesige amerikanische Straßenkreuzer
und hupen herrisch, wenn ihnen ein Eselkarren den Weg versperrt.
»Meine Kellerbar hat sie
rausreißen lassen«, sagt Hügeli mit erloschener Stimme, »meine Kellerbar! Sie
hat einen Turnraum draus gemacht. Hier steht’s: ›Es ist alles ganz herrlich
geworden, mit den modernsten amerikanischen Trimmgeräten, und der Clou ist ein
neuartiges Trockenrennrand mit Tour-de-France-Effekt... Doch kein Wort mehr, es
soll eine Überraschung für Dich sein, mein Yoghibärle. Jedenfalls bin ich mit
unserem Hausarzt einer Meinung, wonach Du
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