Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
dann? Der große Unbekannte? Ein
Hochstapler, der sich ausgerechnet Ihren Namen pumpte?«
»Wer soll es wissen? Ich weiß
es nicht. Das heißt...« Grandlieu begann auf einmal nervös mit dem silbernen
Dessertlöffelchen zu spielen. »Das heißt, es gäbe allerdings noch eine andere
Möglichkeit, eine sehr unwahrscheinliche allerdings.«
»Sprechen Sie sich aus.«
»Wir Grandlieus sprechen ungern
darüber.«
»Wie wäre es mit einer
Ausnahme?«
»Schauen Sie, Monsieur Engel«,
sagte Grandlieu und versuchte mit der Spitze des Löffelchens einen Krümel vom Tischtuch
zu schießen, »schauen Sie, mein Vorname ist Marcel, oder genauer gesagt Marcel
Paul Maria. Und nun gibt es da noch einen Vetter, provençalische Seitenlinie,
namens Marcel Pierre Maria de Grandlieu. Wir sprechen nicht gern darüber.
Besagter ging nämlich eine Mésalliance ein. Er heiratete eine Fischhändlerin,
sozusagen frisch weg von den Pariser Markthallen.«
»Ich bin befremdet«, sagte
Philipp.
»Wir waren es auch, verehrter
Freund, wir waren es auch. Sie starb übrigens bald, die, nun sagen wir, Dame.
Kinderlos, Gott sei’s gedankt, kinderlos.« Monsieur de Grandlieu schob den
Krümel mit dem Löffel über die Tischdecke wie ein Hockeyspieler und wurde immer
nervöser, »aber da war auch sonst noch so einiges an ungeklärten Verhältnissen
und Affären. Besagter Marcel Pierre war eben so eine Art schwarzes Schaf im
Familienverband.«
»Und war dieses schwarze Schaf
jemals in Heidelberg?«
»Keine Idee! Es wäre möglich.
Denn er reiste viel.«
»Wissen Sie wenigstens, was er
jetzt macht?« fragte Philipp mit neu erwachender Hoffnung. »Leider nein,
leider, leider!« Grandlieu schien es ehrlich zu bedauern. »Wir haben seine Spur
verloren, vor vielen Jahren.« Er schaute Philipp von der Seite her an und
wiederholte abwesend: »Vor vielen, vielen Jahren...«
Leicht vertrottelt, dachte Phil
und erhob sich. Er bat Monsieur Grandlieu um Entschuldigung, er bedauerte, sich
derart geirrt zu haben und bat, Mademoiselle Florence zu grüßen.
Grandlieu hielt ihn am Ärmel
zurück. »Was werden Sie nun tun, Monsieur Engel?« fragte er unsicher.
»London genießen«, sagte
Philipp und verbeugte sich. Er trat in den Londoner Nachmittag hinaus. Die
roten Buskarawanen zogen brausend in Richtung Charing Cross. Es herrschte ein
regnerisches graues Licht, das alle Konturen verwischte. Pleite, dachte Philipp,
hundertprozentige Pleite. Aus der Traum von den Millionen. Was sollte er Mutter
sagen? Es stand für ihn fest, daß Grandlieu nicht gelogen hatte. Ein wirklicher
Vater hätte sich nicht derart verstellen können, wenn ihm sein Sohn
gegenübersaß. Die Sache mit dem Vetter schien dem Herrn allerdings ein bißchen
Kummer bereitet zu haben. Nun, wer erinnerte sich schon gern an schwarze
Schafe! Ob der Vetter sein Vater war? Ob er...
Vor lauter »Ob er« übersah er
den silbergrauen Rolls-Royce, der neben ihm stoppte. Im Fond des Wagens saß
eine Frau mit einem Breitschwanz. Sie war aschblond, grünäugig und hatte jene
sagenhafte Apfelhaut, wie sie nur der Nebel Britanniens erzeugt. Außerdem hatte
sie ein Foto in der Hand. Es war ein Paßfoto, auf dessen Rückseite Philipp Engel stand. Sie verglich das Foto mit dem Mann vor der Tür des »Old Compton« und
sagte zu dem livrierten Fahrer: »Er ist es.«
Sie sah, wie der Fahrer
zusammenbrach, seinen Mund verzerrte und entsetzlich anfing zu stöhnen. Sie
stieg aus dem Fond und lief auf Philipp zu. »Mein Fahrer, er hat einen
Herzanfall. Er muß so schnell wie möglich ärztliche Hilfe haben. Ich selbst
habe keinen Führerschein, können Sie einen Rolls-Royce steuern?!«
»Ich fahre selbst einen«, sagte
Philipp gelassen. Er starrte die Frau an, die verzweifelt die Hände rang. Die
Geste stand ihr gut. Und die Verzweiflung auch. Sehr gut sogar. Er vergaß auf
der Stelle die Millionen. Und Monsieur Grandlieu. Er stieg in den Rolls und sah
sich nicht ein einzigesmal um.
Hätte er sich umgesehen, wäre
ihm Grandlieu aufgefallen. Der stürzte aus Wheeler’s Pub und wäre um ein Haar
von einem Taxi überfahren worden. So eilig hatte er es.
»Florence«, sagte Monsieur de
Grandlieu und klopfte heftig an die Tür des Zimmers 411, »Florence, mach bitte
auf.«
Durch die Tür ertönte eine
Stimme: »Ich darf nicht aufmachen. Ich habe Stubenarrest.«
»Ich bin’s, Papa, nun mach
schon!« Er rüttelte heftig an der Klinke und drückte mit der Schulter gegen die
Türfüllung.
Florence drehte den
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