Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
»Mulle« liebte seinen Wanst (wie sie seinen Bauch zu nennen
pflegte), »Fee« findet ihn ridikül und hatte eines Tages gefordert: »Entweder
ich oder dein Bauch. Wähle!«
Beatus Hügeli hatte die
»Aphrodite« gewählt.
»Mamusch, der Greifer ist auch
mit von der Partie«, schreit Erika und bugsiert einen untersetzten Herrn im
etwas zu auffälligen Giencheck durch die Menge.
Die Radke strahlt auf wie eine
Bogenlampe. »Daß ich das erleben darf«, strahlt sie und schüttelt dem
Giencheckmenschen ausdauernd die Rechte. »Also wir versäumen keine Sendung von
Ihnen, wir haben sie alle gesehen oder doch fast alle. Und ich sage immer zu
meiner Tochter, der Greifer, der ist von allen...«
»Vierundachtzig sind es jetzt«,
sagt der Greifer bescheiden und entzieht ihr unauffällig seine Hand.
»Vierundachtzig, und das ist gleichzeitig mein Problem.« Er hängt die Daumen in
den Ärmelausschnitt seiner Weste und startet einen Monolog.
Der Greifer spielt in dem
TV-Dauerbrenner »Der Greifer« den Greifer. Bei Folge 1 war er schlank wie die bekannte
Tanne. Bei Folge 24 war er vollschlank. Bei Folge 52 wölbte sich ein Bauch über
den Hosengürtel. Und bei den Aufnahmen zu Folge 83 (»Der Greifer und die
Masseuse«) meinte der Produzent (nachdem sein Hauptdarsteller gerade eine
Verfolgungsjagd wegen Kurzatmigkeit hatte abbrechen müssen): »Ich habe dich als
Gangsterschreck eingekauft und nicht als Falstaff.«
»Im Grunde war die Birne
schuld, Birne Hélène. Die heiße Schokoladensauce muß übrigens direkt auf
das Vanilleeis und dann rasch auf den Tisch, ganz rasch!«
Er leckt sich die Lippen und
schaut in ungewisse lukullische Fernen.
Die Radke versucht die winzige
Pause im Monolog zu nutzen. »Wollen Sie wissen, warum wir eigentlich an Bord
sind?«
»Ja«, sagt der Greifer und
meint »nein«. Er will gar nichts wissen. Er ist Schauspieler und interessiert
sich ausschließlich für sich selber. »Bei der Bavaria draußen, da war die
Hélène am besten, die Else hat sie mir regelmäßig aus der Kantine geholt, Else
ist meine Garderobiere, andere trinken Sekt oder Kognak oder nehmen Brom vor
heiklen Szenen, ich hab’ ein, zwei Tellerchen von der Hélène gegessen. Die
Szenen wurden ja immer heikler, Sprung von der Brücke auf fahrenden Zug und so.
Sachen haben die mir ins Drehbuch reingeschrieben, Sachen! Und doubeln, doubeln
kam für mich nicht in Frage. Ja, und so ist es dann gekommen...« Er hakt die
Daumen aus den Ärmelausschnitten und trommelt mit den flachen Händen auf seinem
Bauch herum.
»Und wissen Sie, wie es bei uns
gekommen ist?« fragt Frau Radke verzweifelt. Zu gern würde sie diesem
Fernsehstar erzählen, daß ihre Tochter Erika bloß ein paar Pfund zu schmeißen
braucht, und bums ist sie Millionärin. Aber der Greifer hat sich bereits einem
neuen Opfer zugewandt. Das Opfer heißt Stutterbold. Sie hört nur noch, wie er
sagt: »Im Grunde war die Birne schuld. Birne Hélène. Die Schokoladensauce muß
übrigens...«
»Kling, kling, kling!« macht
jemand. Es ist der Schiffsarzt, der mit dem Ringfinger an sein Glas klopft. Er
muß seine Rede halten. Der Doktor ist klein, dürr und hat scharfe Falten an den
Mundwinkeln, sogenannte Magenfalten.
»39 Prozent aller Menschen
haben Übergewicht«, sagt er, »jedes Kilo zuviel kostet Sie ein ganzes
Lebensjahr.«
Und: »Schon der römische
Philosoph Cicero stellte fest, daß man, um sein Leben zu verlängern, seine
Mahlzeiten verkürzen muß. Aber die meisten von Ihnen sind drauf und dran, ihr
frühes Grab mit den Zähnen zu schaufeln.«
Und: »Sie leben nicht, um zu
essen, Sie essen, um zu leben. Schon heute sterben mehr Menschen in Europa an
Fettsucht als an Krebs.«
»In diesem Sinne«, sagt er und
versucht einen Scherz, »wünsche ich Ihnen angenehme Tage an Bord. Prosit!« Er
hebt sein Glas. In seinem Glas ist kein Sauerkrautsaft und keine Buttermilch,
sondern guter alter Portwein.
Auch Frau Radke hebt ihr Glas.
»Prosit, Eka«, sagt sie, »und Mut, nur Mut, dann schaffst du es auch und...«
Ihr Prost geht ins Leere. Eka,
wie sie ihre Tochter Erika nennt, ist nicht mehr im Grünen Salon. Sie hat sich
in ihre Kabine geschlichen. Dort steht sie und betrachtet prüfend die Kabinenwände.
Sie versucht vergeblich, das Bullauge zu öffnen. Auch der Teppich ist fest
verspannt und läßt sich nicht heben. Das Bett ist in den Boden eingelassen. Die
Bilder kleben förmlich an der Wand. Alles scheint unverrückbar wie in einer
Zelle.
»Scheiße«, sagt
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