Das goldene Meer
Er gewann fast immer, wurde laufend verdächtigt, mit gezinkten Karten zu spielen, was aber nie nachweisbar war, denn Siebzehnundvier ist ein wirkliches Glücksspiel. »Ich bin eben ein Kind des Glücks!« sagte Stellinger immer, wenn er gewann und das eingesetzte Geld einstrich. »Schon meine Mutter hat das gesagt: Ein Glück, daß du auf der Welt bist und dein Vater weggelaufen ist …«
Solch eine Fröhlichkeit steckt an. Vor allem, wenn man wochenlang auf dem Meer hin und her fährt, immer im gleichen Gebiet, und nur in gewissen Abständen Singapur oder Manila anläuft, um dort zu bunkern. Treibstoff, Nahrungsmittel, Frischobst und Frischgemüse für den Kühlcontainer, Seife, Zahnpasta, Waschmittel, Verbandszeug, Medikamente, Instrumente, Decken, Matten, Bretter, Ersatzteile für die immer wieder ausfallende Klimaanlage des OPs und der Bettenstation, Zigaretten und – heimlich – ein paar Kisten Whisky, Rum und Gin und Dosenbier. Bier aus Deutschland, stinkteuer in Manila und auch Singapur. Aber Stellinger und auch Hugo Büchler, der 1. Offizier, beteuerten überzeugend: »I sauf nur deitsches Bier, dös rein is. Vergift'n koan i mi oach anders …«
Die Liberty of Sea war ein älteres, aus dem Frachtverkehr gezogenes Containerschiff. Einer der vielen unrentabel gewordenen Frachter, die in Abstellhäfen oder irgendwo auf Reede herumdümpelten und langsam vor sich hin rosteten. Als einen einmaligen Glücksfall sah es deshalb der Reeder Svenholm in Uppsala an, als drei Herren bei ihm erschienen, sich als Mitglieder eines ›Komitees Rettet die Verfolgten‹ vorstellten und fragten, ob der Container zu chartern sei. Die Liberty lag damals in einem Seitenbecken des Hafens von Monrovia in Liberia, kostete jeden Tag gutes Geld und wartete auf Ladung. Zur Zeit der Hochkonjunktur auf See hatte Svenholm sich zwölf schöne Schiffe zugelegt, von denen jetzt nur noch acht über die Meere fuhren. Die anderen vier träumten vor sich hin, warteten auf einen Käufer, aber niemand wollte sie haben. Für Svenholm war das ›Komitee Rettet die Verfolgten‹ ein vager Begriff. Er hatte mal davon gelesen, daß dieses Komitee mit einem Schiff vor der Küste Vietnams kreuzte und Flüchtlinge auffischte, die mit elenden Booten ihr Land verließen, um irgendwo eine neue Heimat zu suchen. Ein Land, in dem man in Freiheit leben konnte, wo es keine Geheimpolizei und Bespitzelung gab, keine harte Planwirtschaft und die Diktatur von Parteifunktionären, wo das Leben noch lebenswert war und nicht die Angst in den Nacken drückte, Tag und Nacht.
›Boatpeople‹ nannte man diese Flüchtlinge. Ab und zu wurde in der Presse von ihnen berichtet, auch ein kurzer Fernsehfilm war einmal gelaufen –, aber sonst kümmerte sich kaum jemand um das Schicksal dieser Menschen. Vietnam, Asien, Südchinesisches Meer – du lieber Himmel, ist das weit weg! Wir haben selbst Probleme. 1,5 Millionen Tonnen Butterberg, ein Milchsee, eine Zuckerhalde, überflüssiges Obst und Gemüse, das vernichtet werden muß, um die Preise zu halten. Wahlen, Steuerreformen, Aufmärsche gegen die Atompolitik, Proteste gegen Atomraketen, die Not der Kohle- und Stahlindustrie, Streiks der Metallarbeiter, 35-Stunden-Woche, der Angriff der EG auf das Reinheitsgebot des deutschen Bieres … ein Haufen von Problemen! Da soll man sich auch noch um asiatische Flüchtlinge kümmern? Mein Lieber, haben Sie schon gehört: Jetzt will man den Butterberg abbauen, indem man aus der guten Butter Schuhcreme macht. Nein, sie wird nicht verbilligt auf den Markt geworfen, wo käme man denn da hin mit den Preisen … Schuhwichse wird daraus gekocht, oder man verkauft sie den Russen für einen Preis, mit dem man bei uns gerade einen Liter Milch bekommt. Das ist ein Skandal! Wie soll man da noch an die Boatpeople denken? So weit weg …
»Was haben Sie vor?« fragte Reeder Svenholm in Uppsala die Herren vom ›Komitee Rettet die Verfolgten‹. »Sie wollen meine Li berty chartern, um Vietnamesen aus dem Meer zu fischen? Das ist eine gute Sache, aber auch eine gefährliche.«
»Wir haben darin Erfahrung«, antwortete einer der Herren. Er hatte sich als Albert Hörlein vorgestellt, wohnhaft in Köln am Rhein, Beruf Architekt. Der andere Herr war ein Franzose, der dritte ein Holländer.
»Ich weiß. Sie waren schon einmal, vor zwei Jahren, wenn ich nicht irre, mit einem Schiff auf Rettungsaktion.«
»Ganz richtig. Wir haben damals 10.395 Flüchtlinge aus dem Südchinesischen Meer
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