Das goldene Meer
gerettet.«
»Zehntausend? Ungeheuer!« Svenholm hatte sich beeindruckt gezeigt. »Und die haben Sie alle untergebracht?«
»Unter größten Mühen. Kanada und Frankreich haben die meisten aufgenommen, Deutschland die wenigsten.« Albert Hörlein hatte aus seiner Aktentasche einige Papiere hervorgeholt und breitete sie auf der Schreibtischplatte aus. »Aber das entmutigt uns nicht. Im Gegenteil, es zwingt uns geradezu, dieser Sattheit in Mitteleuropa zuzurufen: Seht euch das an! Ihr rülpst vor Übersättigung, und dort kämpfen die Menschen ums nackte Überleben. Interessieren Sie Zahlen, Herr Svenholm?«
»Zahlen? Immer …« Das sollte ein Witz sein, aber das Lächeln auf Svenholms Gesicht gefror, als Hörlein vorzulesen begann.
»Seit 1975 sind aus Vietnam mehr als eine Million Menschen geflüchtet. 130.000 schlossen sich den abziehenden Amerikanern an, 263.000 sickerten auf dem Landweg nach China durch, 25.000 wanderten durch Laos und Kambodscha nach Thailand. Und 476.470 Flüchtlinge überlebten eine Flucht mit Booten, erreichten andere Küsten, gejagt von Piraten und Wachschiffen. Mit seeuntüchtigen, überfüllten, miserabel ausgerüsteten Booten wagen sie sich aufs Meer hinaus. Die großen Ziele: Thailand, Hongkong, Malaysia, Indonesien und Singapur. Sie ertrinken, verdursten, werden von Piraten ermordet, die Frauen werden verschleppt in die Bordelle. Wissen Sie, wie hoch man die Zahl der Menschen schätzt, die auf diese Weise auf See umgekommen sind? Zweihunderttausend, Herr Svenholm.«
»Und jetzt wollen Sie mit meiner Liberty die Aktion fortsetzen?«
»Wir werden aus ihr eine Art Lazarettschiff machen. Mit einem Operationssaal, einer Röntgenanlage, einer großen Apotheke und Liegeplätzen für ungefähr vierhundert Menschen. Die meisten aufgefischten Flüchtlinge brauchen dringend ärztliche Hilfe. Wir werden daher mindestens drei Ärzte und genug Krankenpfleger und Schwestern an Bord haben. Die Planungen sind abgeschlossen. Was wir noch brauchen, ist ein Schiff.«
»Und wie kommen Sie dabei gerade auf meine Liberty of Sea?«
»Ein großzügiger Spender, der kürzlich in Liberia war, hat uns auf Ihr Schiff aufmerksam gemacht.« Hörlein schob die Schriftstücke wieder zusammen und steckte sie in die Aktentasche zurück. »Unser Komitee lebt von privaten Spenden. Von staatlicher Seite ist kein Pfennig Unterstützung zu erwarten. Man subventioniert zwar Schweineberge, aber für Menschen ist kein Geld da. Wir gehen praktisch mit dem Hut in der Hand herum und betteln.«
Svenholm hatte damals diesen Satz in sich aufgesogen wie Gallensaft. Genau so gallig war dann auch seine Frage: »Wie wollen Sie überhaupt die Charter bezahlen, meine Herren?«
»Wie üblich in Dollar und für ein halbes Jahr.«
»Im voraus?«
»Monatlich.«
»Mit Bankgarantie?«
»Selbstverständlich. Warum soll es verschwiegen werden? Wir haben zur Zeit dank privater Spenden ein Bankguthaben von 2,5 Millionen. Damit können wir Ihre Liberty übernehmen und einrichten. Von den dann weiterhin einlaufenden Spenden werden wir den Unterhalt bestreiten. Die Verpflegung der Geretteten, ihre Versorgung, die Gehälter und Heuer, Treibstoffe, Nahrungsmittel – es ist uns bisher immer gelungen, über die Runden zu kommen. Auch jetzt werden wir nicht k.o. gehen.«
»Wann wollen Sie das Schiff übernehmen?« Svenholm hatte im stillen schnell durchgerechnet, wieviel Charter man verlangen konnte. In Monrovia verrottete die Liberty und kostete zudem noch gutes Geld. Wenn dieses Komitee sie übernahm, wurde sie gepflegt, sogar umgebaut und gefahren und brachte Dollars ein. Wieviel, das war nachher eine Verhandlungssache.
»Sofort. Die Umbauten sollen in Singapur vorgenommen werden.«
»Was ist mit der Crew?«
»Sie ist fast vollständig.«
»Mit einer Ausnahme. Den Kapitän stellen wir.« Svenholm sagte es so pointiert, daß jeder wußte: Hier war nicht mehr zu handeln.
Albert Hörlein nickte. »Angenommen. Es muß aber ein Kapitän sein, der die chinesischen Gewässer genau kennt.«
»Bei Ralf Larsson sind Sie in den besten Händen. Fünfzig Jahre, ein Seebär, wie man so sagt, seit fünfunddreißig Jahren auf allen Meeren zu Hause, hat mehr Taifune überlebt als er Jahre alt ist. Larsson ist durch nichts mehr zu erschüttern. Auch durch Vietnam-Flüchtlinge nicht.« Das sollte wieder ein Bonmot sein, aber Hörlein und die beiden anderen Herren blieben ernst. Das Elend der Gejagten und Ertrinkenden konnten sie nicht witzig
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