Das goldene Meer
ausgewechselt gegen die Mannschaft, die das Komitee angeheuert hatte, und auch die Ärzte kamen an Bord.
Kapitän Larsson empfing alle wortkarg und mit steifer Distanz. Er gab jedem die Hand, knurrte etwas von Willkommen an Bord und bestellte den 1. Offizier Hugo Büchler und den Oberbootsmann Franz Stellinger zu sich in die Kapitänskajüte. Auch der ›Chief‹, der Chefingenieur, der schon seit Monrovia an Bord war und die Maschine studiert hatte, Julius Kranzenberger aus St. Polten in Österreich, wurde nach oben gebeten.
»Der Alte ist ein Eisenfresser«, sagte der Matrose Fritz Kroll, als er sich in seiner engen Kajüte einrichtete. Neben ihm wohnte der Matrose Herbert v. Starkenburg, ein semmelblonder Bursche mit dem Gesicht eines Botticelli-Engels. »Mit dem kriegen wir noch Spaß. So einen hatte ich mal auf der Evita. Der war den ganzen Tag trübsinnig, wenn er nicht die ganze Crew schon am Morgen zusammengeschissen hatte.«
»Wir werden es ertragen, Fritz«, antwortete Herbert. Er packte ein Radio mit Kassettendeck aus, einen Plattenspieler und eine Menge Schallplatten mit klassischer Musik, von Beethoven bis Tschaikowski, von Berlioz bis Wagner. Er stellte sie in ein Regal, als wären sie zerbrechliches Porzellan. »Man kann so viel ertragen.«
»In drei Tagen legen wir ab«, sagte Larsson knapp zu den drei wichtigsten Männern der Schiffsführung. »Meine Order erhalte ich von einer Leitstelle des Komitees in Singapur. Sie wissen, welche Aufgabe uns erwartet. Aber eins hat Vorrang: Die Sicherheit des Schiffes! Danke, meine Herren.«
Ja, so war das damals gewesen, dachte Dr. Starke. Inzwischen hatten sie über vierhundert Boatpeople vor den Piraten, dem Verdursten und Ertrinken gerettet und auf den Philippinen abgesetzt, nachdem für die Flüchtlinge Aufnahmeplätze garantiert worden waren. Dort hausten sie im Lager Palawan in Puerto Princesa in einstöckigen Bambushütten, abgeschirmt durch einen hohen Maschendrahtzaun von der Umwelt und bewacht wie Aussätzige, bis sie zur Weiterreise ins ersehnte Ungewisse nach Kanada oder Frankreich, Belgien oder Luxemburg, Holland oder Deutschland herausgeholt wurden. Ein Kampf um jeden Platz … was soll man mit Vietnamesen anfangen?
Sie hatten sich alle zum erstenmal in Singapur, im Hotel Hilton, getroffen. Die ›Medizin-Crew‹, wie Hörlein sie begrüßte: Chefarzt Dr. Fred Herbergh, Dr. Anneliese Burgbach, Johann Pitz, der Krankenpfleger, Julia Meerkatz, die Krankenschwester, und er, Dr. Wilhelm Starke. Und schon bei ihrem ersten Blickwechsel wußte Dr. Starke: diese Anneliese Burgbach würde mehr sein als eine kameradschaftliche Kollegin, und Julia, das langhaarige, blauäugige, quirlige Temperament mit dem erotischsten Po, den er je gesehen hatte, würde das Biest sein, das die Männer an Bord ganz schön umeinandertreiben würde.
Die Kollegen waren allesamt Idealisten. Andere konnten es nicht schaffen, auf diesem Schiff ein Jahr durch das Südchinesische Meer zu fahren und halbtote, ausgedörrte Elendsgestalten an Bord zu heben. Nur mit dem starken Willen, um jeden Preis Leben zu retten, war so ein Einsatz möglich.
Dr. Fred Herbergh. Zweiundvierzig. Chirurg. Zuletzt Oberarzt in der Unfallklinik von Essen. 102 wissenschaftliche Veröffentlichungen, Vorträge auf Chirurgenkongressen, vor sich eine glänzende Laufbahn als Dozent und dann eine Professur. Unverheiratet, weil er keine Zeit hatte, eine Familie zu gründen. Ab und zu eine schnelle Affäre mit einer Frau, mehr aus biologischen Gründen als aus wirklicher Liebe. Ein verbissener Arbeiter ohne den bei Klinikärzten verbreiteten Akademikerdünkel, ein Kumpel, den man mitten in der Nacht aus dem Bett holen konnte, ohne angeknurrt zu werden. Ein blendender Operateur, der schon mal 28 Stunden durchgehend am OP-Tisch gestanden hatte und noch klar das Operationsfeld übersehen konnte, wenn es seinen Assistenten vor den Augen flimmerte. Dr. Fred Herbergh, ein Karrierebolzen, der von einem Tag zum anderen seine akademische Laufbahn unterbrach, als er eine Reportage über das ›Komitee Rettet die Verfolgten‹ in der Frankfur ter Allgemeinen Zeitung las. Zur gleichen Stunde noch rief er Albert Hörlein in Köln an und stellte sich zur Verfügung. Auch das gehörte zu seinem Wesen: Spontaneität. Er konnte Entscheidungen blitzschnell fällen, privat und am OP-Tisch. Und immer hatte er das richtige Gespür. Nun saß er in der riesigen Halle des Hilton-Hotels von Singapur, rauchte einen Zigarillo und trank
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