Das goldene Meer
des Sozialamtes ausgewiesen wurde. Über seine Dienststelle würde zunächst – als Auffangstation – die Ausschiffung der Vietnamesen laufen, für die eine Garantie der Bundesländer vorlag. Amtmann Blodmeyer, der grün im Gesicht wurde und dem der Atem wegblieb, wenn er irgendwo seinen Spitznamen hörte, der logischerweise Blödmeyer lautete, hatte diese neue Aufgabe nur ungern übernommen. Ihm war klar, welcher Berg von Arbeit da auf seine Behörde herunterfiel, welchen Rummel das auslöste, wieviel Streitereien und Auseinandersetzungen auf ihn warteten. Er hatte schon genug mit den Ostausreisenden zu tun, – nun kamen auch noch Vietnamesen dazu!
»Die nächsten werden die Eskimos sein, denen es zu kalt geworden ist!« sagte er verbissen. »Und dann kommen die Gorillas aus den Bergen von Uganda auf der Flucht vor AIDS. Grenzen zu, sage ich, und wir haben Ruhe! Wer hat sich 1945 um meine Oma gekümmert? Die ist auf dem Treck nach Stettin im Straßengraben erfroren. Davon spricht heute keiner mehr.«
Amtmann Blodmeyer schrieb an Thomas Hess:
Ihr Artikel in der Frankfurter Allgemeinen, über dessen Wahrheitsgehalt ich nicht mit Ihnen streiten möchte, hat ein großes Leserecho ausgelöst . Sie schreiben da von 22 elternlosen Kindern, die eine neue Mutter und einen neuen Vater suchen. Seitdem laufen bei uns Anfragen ein und bie ten sich Ehepaare als Pflegeeltern oder Adoptiveltern an.
Wir werden zu gegebener Zeit diese Antragsteller überprüfen und dann unsere Entscheidungen treffen. Zu Ihrer Information, die Sie bitte in ei nem Ihrer nächsten Artikel verwenden sollten, teilen wir Ihnen mit, daß wir allen Antragstellern den oben angeführten Bescheid zugestellt haben.
Nach Rücksprache mit der vorgesetzten Behörde sind wir nicht abge neigt, die 22 elternlosen Kinder ausgesuchten Eltern zu überlassen. Diese Zusage hängt davon ab, ob sich passende Ehepaare dafür finden lassen.
Mit freundlichem Gruß Peter Blodmeyer.
»Es rührt sich was, Thomas!« sagte Hörlein erfreut und gab den Brief an Hess zurück. »Kleine Erfolge summieren sich zu einem großen Erfolg. Nun denkt auch Bremen nach, ob es Vietnamesen aufnehmen kann. Nur mit Rheinland-Pfalz und Bayern ist nichts, gar nichts zu machen. Dort sagt man, daß man bisher mehr Flüchtlinge aus aller Welt aufgenommen und ihnen Asyl gewährt hätte, als alle anderen Länder. Das stimmt sogar. Vor allem die Bayern sind regelrecht überschwemmt worden. Aber das ist keine Ausrede für lumpige hundert Vietnamesen, die Bayern leicht aufnehmen könnte.« Hörlein griff zum Telefon. »Das mit den 22 Pflegeeltern muß ich dem Sender melden. Das heizt die Diskussion weiter an.«
Am Abend rief Bernd Lübbers an, der Oberkreisdirektor einer niedersächsischen Gemeinde. Thomas Hess wappnete sich gegen massive Vorwürfe, aber Lübbers war genau das Gegenteil eines Anklägers. Er sprach fast gemütlich.
»Herr Hess«, sagte er, »ich weiß aus einem Rundschreiben, daß unser Niedersachsen sich bereit erklärt hat, 50 Vietnam-Flüchtlinge aufzunehmen.«
»So ist es«, antwortete Hess gespannt. Die Einleitung des Gespräches versprach eine interessante Information.
»Heute nun bekomme ich vom Innenminister des Landes die Nachricht, daß mein Kreis 20 Vietnamesen aufnehmen muß.«
»Gratuliere.«
»Das habe ich erwartet.« Lübbers räusperte sich. »In Ihren Zeitungsartikeln klagen Sie die Behörden, also auch mich im weitesten Sinne, an, sprechen von Inhumanität, Heuchelei, verschüttetem Christentum und was sonst Ihnen dazu einfällt. Wenn ich das alles so lese, kommt mir der Verdacht, daß Sie sich ein völlig falsches Bild von uns machen.«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Lübbers, wenn Sie mich durch ein anderes Bild korrigieren und überzeugen würden … könnten …«
»Deswegen rufe ich Sie an. In ungefähr sechs Wochen soll das Flüchtlingsschiff in Hamburg eintreffen.«
»So ist der Zeitplan, ja.«
»Nach Erledigung aller Formalitäten im Durchgangslager wird es – wie ich annehme – ungefähr noch einmal sechs Wochen dauern, bis die Verteilung der Vietnamesen auf die einzelnen Bundesländer erfolgen kann.«
»Mag sein. Ich weiß nur nicht, warum Herr Blodmeyer – von dem sprechen Sie doch – sechs Wochen braucht, um 564 Flüchtlinge zu registrieren.«
»Ich denke 321?« fragte Lübbers überrascht.
»Stimmt. Verzeihung. Es sind wirklich 321.« Hess nagte an der Unterlippe. Noch einmal passiert mir das nicht, dachte er wütend. So ein
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