Das goldene Meer
in meinem Schmerz baden, allein. Kann sein, daß ich dann rein wieder herauskomme.
Trinh und Truong überlebten, auch Nga und ihre neun Kinder. Alle zusammen beteten sie jeden Morgen an Deck neben dem Kran, wo sie unterhalb des Drehkranzes mit den aus Klopapier gefertigten Blumen, die man ihnen schenkte, und zwei Holzstücken, die zu einem Kreuz genagelt waren, einen kleinen Altar aufbauten. Hier hielten sie ihren eigenen Gottesdienst, sie wußten, daß sie Gott nicht oft genug für das Wunder ihrer Rettung danken konnten. Am Sonntag scharten sich dann auch andere Vietnamesen um den Altar und sangen Kirchenlieder, die sie gelernt hatten, und Xuong, der Lehrer, der alles konnte und den jedermann ehrte, ersetzte den Priester und predigte und segnete in dem Bewußtsein, daß Gott überall auf Erden war.
Nur noch zwei Tage weit war das Transitlager Batangas von ihnen entfernt. Die Liberty stand in ständiger Funkverbindung mit dem Lager, die 1.014 Garantien aus aller Welt waren bestätigt worden, einer ›Anlandung‹ – eine Behördensprache gibt es auf der ganzen Welt – stand nichts mehr im Wege, ein Küstenwachboot der philippinischen Marine würde das Ausschiffen überwachen und genau die Köpfe zählen, was am Eingangstor des Lagers noch einmal geschehen würde. Über Radio Singapur schickte Dr. Herbergh an Hörlein in Köln den Bericht der letzten Tage und teilte mit, daß 243 Flüchtlinge zuviel an Bord seien. Zusammen mit den 321 Vietnamesen, für die von den bundesdeutschen Ländern Plätze zur Verfügung gestellt worden waren, würde die Liberty mit 564 Flüchtlingen an Bord nach Hamburg kommen.
»Ich kann sie nicht zurück ins Meer werfen«, telegrafierte Dr. Herbergh. »Wenn sie in Hamburg landen, müssen die Behörden etwas tun. Man kann nicht Frauen und Kinder an der frischen Luft verrecken lassen.«
Trinh, Truong, Nga und die neun Kinder setzte Dr. Herbergh auf die Liste von Kanada. Dort war man bereit, sie nicht als einen Fremdkörper im Land zu betrachten, sie nicht scheel anzusehen, weil sie Asiaten waren. Das weite Land würde sie aufnehmen und irgendwo an den vielen Seen, in den riesigen Wäldern, in den unübersehbaren Feldern würden sie einen neuen Lebensraum finden, würden sie ein neues Leben in Frieden und Freiheit beginnen können.
»Es ist merkwürdig«, sagte Dr. Herbergh zu Dr. Starke, während er an seiner Vorschlagsliste arbeitete, »die meisten wollen nach Deutschland, in das sagenhafte Land, wo Milch und Honig fließen, und ahnen gar nicht, was sie in Deutschland erwartet. Von Kanada haben die wenigstens gehört. Sie wissen gar nicht, wo es liegt und betteln: Bringt uns nach ›Duc‹. Eigentlich sollten wir jeden warnen.«
Dr. Herbergh blickte hoch. »Ist das nicht furchtbar, als Deutscher so etwas sagen zu müssen?«
Vor der philippinischen Küste erwartete sie das Patrouillenboot der Marine. Funker Buchs hatte es schon angekündigt, Larsson ließ neben der deutschen Flagge auch die philippinische hissen, begrüßte das Kriegsschiff mit einem Aufröhren seines Nebelhorns und bekam mit dem Signalscheinwerfer die Antwort: »Folgen Sie mir auf Reede.«
Nahe vor der Küste, zwischen winzigen Felseninseln, warf die Li berty of Sea Anker, mit einem Patrolboot kamen die Behörden an Bord, kontrollierten die Schiffspapiere, die Larsson ihnen vorlegte, und erklärten das Schiff für freigegeben. Der Ausschiffung der Flüchtlinge stand nichts mehr im Weg. Über Funk war das Lager Batangas verständigt worden, Lastwagen standen am Quai des kleinen Hafens bereit, die Vietnamesen abzuholen und in das mit hohen Zäunen abgeriegelte Quartier zu bringen. Dr. Starke und Anneliese begleiteten den Transport und stürzten sich in den Papierkrieg, der für die Übergabe nötig war.
Einer nach dem anderen, Männer, Frauen und Kinder, zogen dann am Nachmittag an Dr. Herbergh, Stellinger und allen anderen Deutschen vorbei und nahmen Abschied. Fast alle küßten Herbergh die Hand, er konnte es nicht verhindern, denn wenn er sie auf den Rücken legte, küßten sie seinen Bauch, als sei er ein Buddha. Viele umarmten Stellinger, Pitz, Starkenburg und Kroll, sogar Hans-Peter Winter wurde umarmt, was Stellinger zu dem Ausspruch reizte: »Wie glücklich sind sie, deinem Essen entronnen zu sein!« Es traf Winter nicht, die Vietnamesen hatten ja ihre eigene Küche gehabt.
Phing hatte schon in der Nacht Abschied von Dr. Starke genommen. Sie hatte in seinen Armen gelegen wie ein kleines, ängstliches Tier,
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