Das goldene Meer
Beamten freundlich, aber energisch ab.
Ohne Garantie keine Anlandung. Wir sind ein Transitlager, kein ›closed camp‹ wie Hongkong und Singapur. Bei uns wird gewartet, aber nicht gelebt.
Dr. Starke verzichtete darauf, weiter zu verhandeln. Die Gesichter der Beamten blieben freundlich, aber verschlossen. Man hatte genug Elend im eigenen Land.
Stellingers Operation war gelungen. Er lag nun dick bandagiert und nur zeitweise ansprechbar im Bett, neben ihm, auf einem Stuhl, saß Kim und hielt seine Hand oder wischte den Schweiß aus seinem Gesicht. Über dem Bett zuckte grün schimmernd Stellingers Herzschlag über einen Bildschirm. Mit niedrigen Zacken gab das Oszilloskop die Schlagfrequenz wieder. In die Vene tropfte langsam ein herzstärkendes Mittel.
»Mehr ist nicht zu tun«, sagte Dr. Herbergh, als sie an Stellingers Bett standen. »Die größte Hilfe ist seine Pferdenatur. Aber ich habe euch noch etwas Sensationelles zu sagen. Le, der Franz so zugerichtet hat und dann über Bord gesprungen ist, war ein Mann von Truc Kim Phong. In seinem Hemd, das Winter ihm vom Körper gerissen hat, waren Papiere eingenäht. Codenummern, die Buchs als Funkfrequenzen entzifferte. Le hat oft in der Nacht unsere Position durchgegeben. Truc wußte immer, wo wir waren. Zweimal hat Buchs was gemerkt, aber keiner konnte es sich erklären. Wer dachte schon an Le? Le mit den Messerstichen der Piraten. Alles nur Tarnung. Man hat sie ihm bewußt beigebracht, als sicherer Beweis eines Überfalls, den er allein überlebte. Mit diesem Trick kam er als Flüchtling an Bord und konnte Truc warnen. Immer in unserer Nähe, aber so weit weg, daß man ihn nicht sehen konnte, überfiel er dann die Flüchtlingsboote.« Dr. Herbergh blickte zu Kim hinunter. »Hast du gewußt, daß Le ein Spion für Truc war?« fragte er auf englisch.
»Nein, Herr.« Kim legte beschwörend beide Hände flach gegen ihre Brust. »Ich habe ihn erst im Boot kennengelernt. Aber Xuong, der Lehrer, hat ihm immer mißtraut.« Sie blickte Dr. Herbergh bettelnd an. »Wohin wird der Lehrer kommen?«
»Nach Kanada. Er will bei Nga und den neun Kindern bleiben. Da habe ich gleich eine neue Schule, hat er zum Abschied gesagt. Er lachte, aber seine Augen weinten. Ich hätte ihn gern mit nach Deutschland genommen, aber Kanada ist besser für ihn.«
»Vor allem gibt es dort keinen Bundesinnenminister, der behaupten könnte, er wäre nur geflüchtet, um am deutschen Kuchen mitzuessen.« Dr. Starke strich Kim über das lange, schwarze Haar. Es war eine väterliche Geste. »Trotzdem wirst du glauben, im Paradies zu sein, und von dir aus gesehen, hast du auch recht.«
Während Hörlein in Köln im Rundfunk und im Fernsehen seine Statements abgab, Aufrufe schrieb, detaillierte Berichte an die Ministerpräsidenten der Länder verschickte und mit erschütternden Zahlen die Starrheit aufzubrechen versuchte, lief Thomas Hess mit seinen Artikeln gegen zugestoßene Türen. Nur bei zwei großen, überregionalen Zeitungen fand er Gehör und konnte seine kritische und anklagende Schrift veröffentlichen.
Das Echo war beträchtlich. Die Bevölkerung begann sich für die Vietnamesen zu interessieren. Man sprach jetzt auch am Stammtisch, an den Biertheken oder im heimischen Sessel von der Liberty of Sea, die im fernen Südchinesischen Meer aus ihrer Heimat geflüchtete Menschen aus den Wellen fischte. Und die Tatsache, daß Piraten dort herumfuhren, die Frauen vergewaltigten und entführten, um sie an die Bordelle in Thailand zu verkaufen verursachte gehörigen Nervenkitzel. Piraten? Ich denke, die waren so um 1700 herum tätig? Errol Flyn, Tyron Power, der Glatzkopf Yul Brynner … tolle Burschen, die raubten und leidenschaftlich liebten … vor dreihundert Jahren. Aber heute? Piraten? Und wo? Da irgendwo bei Thailand, Vietnam, den Philippinen und China? Bei den Schlitzaugen. Sollen die sich doch die Köpfe einschlagen, die haben ja sowieso Millionen zuviel. Und die retten wir aus dem Meer? Wir Deutschen müssen uns auch überall reinmischen!
Gespräche an deutschen Frühstückstischen.
Aber man sprach über die Liberty. Man wußte Bescheid über die Flüchtlinge aus Vietnam. Man las über ihr Leid ohne große Anteilnahme, aber man las darüber. Wenn das Schiff in den Hamburger Hafen einlaufen würde, wäre es kein unbekanntes mehr.
Reaktionen kamen von den Behörden. Lothar Hess erhielt einen Brief von einem Amtmann Peter Blodmeyer, der im Kopf des Briefbogens als Leiter der Fürsorge und
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