Das goldene Meer
Kinder bauen lassen. Nudeln, Fässer mit Frischwasser, Treibstoff, Reis, getrocknetes Obst und Spiritus besorge ich noch. Das Meer wird uns die Fische liefern. Töpfe und Pfannen und alles, was ihr braucht, bringt ihr selbst mit. Wenn wir die Schiffahrtsroute Singapur – Hongkong erreicht haben, sind wir gerettet. Es werden bis dahin nur ein paar Tage und Nächte sein. Beten wir alle, daß das Meer ruhig bleibt. Unser Boot ist flach, aber ein ruhiges Meer können wir bezwingen.«
Noch einen Monat, nur noch einen Monat! Wie sich die Tage dehnten, wie langsam die Nächte vergingen. Cuong, der Mechaniker, der in der Kommune einen Traktor fuhr, strampelte nachts auf einem Rad, das vor Alter quietschte und dessen Räder eierten, heimlich zum Hafen und reparierte den Motor des Bootes mit gestohlenen Schläuchen und Kupferleitungen, klagte mehrmals: »Der Verkäufer betrügt uns, Xuong! Schon bei halber Kraft wird der Motor auseinanderfallen!« Aber alles Protestieren half nicht. Im Gegenteil, der Verkäufer, ein dürrer Flußfischer, schraubte die Forderung noch einmal hoch.
Xuong bezahlte zähneknirschend, aber ohne den Mann zu verfluchen. Im Grunde verstand er ihn. Es ging darum, Geld zu verdienen, und von wem es kam, war von wenigem Interesse. Schließlich gab der Mann sein Boot her, würde es am Morgen nach Abfahrt der Flüchtlinge als gesunken melden, leckgeschlagen und untergegangen beim Fischen im Mekong, von der Strömung dann weggerissen. Das war glaubhaft, und Lap Quang Ky, der arme, lederhäutige Fischer, würde versuchen, von der Kommune der Fischer ein neues Boot zu bekommen, auf Abzahlung natürlich, vom Erlös des Fischens würde ihm gerade soviel übrigbleiben, daß er nicht verhungerte … Wer wußte denn, daß er in Wahrheit ein wohlhabender Mann war, der sich Fleischstückchen in seiner Reissuppe leisten konnte. Ein jeder will ein wenig besser leben, wem kann man das verübeln?
In diesem letzten Monat in der Heimat verkauften die Verschworenen nacheinander alles, was sie besaßen. Sogar nach Ho-Chi-Minh-Stadt fuhren sie mit den überfüllten, mit Menschentrauben behangenen Bussen und boten ihre Habe an; die letzten Tage hausten sie in leeren Zimmern und Hütten, schliefen auf der blanken Erde, arbeiteten aber wie immer, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Dann endlich war die Nacht da, in der sie zum Fluß schlichen und über ein schwankendes Brett auf das Boot gingen. Zwölf Kinder von zwei bis dreizehn Jahren, vierzehn Frauen und sechzehn Männer. Das Boot war viel zu klein für sie alle … eng zusammengepfercht hockten sie auf dem Boden, die Kinder waren in den Holzverschlag gekrochen. Als Xuong das Brett, das sie noch mit der Heimat verband, wegtrat und das Boot lautlos von der Strömung erfaßt und weggezogen wurde, falteten sie alle die Hände und beteten, was sie bei Pater Matthias in der Mission gelernt hatten: Vater unser, der Du bist im Himmel …
Erst mitten auf dem Mekong warf Cuong den Motor an und lachte und klatschte in die Hände, als der wirklich gleichmäßig zu rattern begann. Durch das alte Boot ging ein Zittern, als sei es ein müdes Pferd, dem man einen heftigen Schlag versetzt hatte. Cuong mußte das Ruderrad fest in beide Fäuste nehmen und begriff plötzlich, was die Fischer immer sagten: Jeder Tag ist ein Kampf mit dem Fluß.
Wie mochte das mit dem Meer sein?
Er blickte Xuong an, der neben ihm stand und stumm zum kaum sichtbaren Ufer starrte. In die Freiheit, dachte er. Jetzt schwimmen wir in die Freiheit. Wir werden dich nie wiedersehen, wir werden nie wieder zu dir zurückkommen, schöne Heimat Vietnam. Irgendwo auf dieser Welt werden wir einen neuen Platz finden, wo unsere Kinder geboren und unsere Alten sterben werden, wo es keine Unterdrückung und keinen Haß gibt, wo wir die Arbeit unserer Hände behalten können und alle Menschen Brüder sind.
»Zwei schwere Tage kommen noch, Cuong«, sagte er. Mit einem Ruck riß er sich vom Anblick des Ufers los und wandte ihm den Rücken zu.
»Ich weiß, die Küstenwachboote der Marine.« Cuong gab noch etwas mehr Gas. Mit der Strömung machten sie gute Fahrt, der Kahn lag besser im Wasser, als man geglaubt hatte, er glitt fast über den Fluß mit seinem flachen Kiel, als sei er ein großer Schlitten. »Sie werden denken: Da ist ein mutiger Fischer, der sich aus dem Mekong hinauswagt. Vielleicht aber sieht uns auch niemand.«
In der Morgendämmerung verließen sie bei der Halbinsel Cua Cung-hau das Mekong-Delta und
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