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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ihr mit trauriger Miene nach. »Manchmal möchte man wirklich an der Gerechtigkeit der Welt verzweifeln.«
    »So war es doch schon immer! Der, der oben steht, nimmt sich, was er will, während unsereins kuschen und sich ducken muss. So schlimm aber, wie der junge Herr es treibt, ging es in meiner Jugend nicht zu.«
    Die Köchin schneuzte sich und kehrte an ihre Arbeit zurück. Doch die Art und Weise, wie sie mit den Kochlöffeln in den Töpfen herumfuhrwerkte, verriet die Wut, die sie auf Diebold empfand. Genau wie Frau Frähmke wusste sie jedoch nicht, wie sie das Raubtier auf Dauer von seinem Opfer fernhalten konnte.

Vierter Teil
    Heimkehr
    1.
    N ach Weihnachten kehrten tatsächlich einige Studenten nicht mehr nach Göttingen zurück. Der Einfachheit halber lasteten die Behörden diesen den Streich mit der Narrenkappe aus Schnee an und waren damit zufrieden. Die Stimmung unter den verbliebenen Studenten besserte sich jedoch nicht. Sie stießen sich auch weiterhin an der Gängelei und den kleinlichen Verboten, die ihnen den rechten Untertanengeist beibringen sollten. Sie wollten keine Duckmäuser werden, wie sie es nannten.
    Einer der wenigen, die sich nichts aus der Situation machten, war Diebold von Renitz. Obwohl es ihm nicht gelungen war, Gisela zu verführen, kam er gut gelaunt nach Göttingen zurück und wurde von der Witwe Haun freundlich begrüßt. Walther hingegen gönnte sie lediglich einen kurzen Blick, um ihn im nächsten Moment barsch dazu aufzufordern, sich gefälligst die Schuhe draußen abzuklopfen. Das hatte er zwar bereits getan, ging aber noch einmal vor die Haustür und stampfte zweimal fest auf. Dann bezog er wieder sein Zimmer. Während er darauf wartete, bis das Dienstmädchen ihn zum Abendessen rief, dachte er über seine Zeit in Artschwagers Haus nach. Der Professor hatte ihn wie einen guten Freund behandelt und interessante Gespräche mit ihm geführt. Auch hatte er bei ihm Bücher lesen können, die es in der Renitzer Schlossbibliothek mit Sicherheit nicht gab. Daher war er nur mit Bedauern von Artschwager geschieden und fühlte sich hier seltsam fremd.
    Später bei Tisch schwang Diebold das große Wort und berichtete von den herrlichen Tagen auf Renitz. Außerdem breitete er den Reichtum seiner Familie in vielen Einzelheiten vor der staunenden Hauswirtin aus. Später, als er in Walthers Zimmer die Unterlagen entgegennahm, die dieser ihm während seiner Abwesenheit angefertigt hatte, strich er sich grinsend über den schütteren Oberlippenbart.
    »Die kleine Gisela ist übrigens ein hübscher Fratz geworden. Hätte ich damals, als Vater sie nach Renitz mitgenommen hat, gar nicht gedacht. Ein bisschen scheu noch, aber …« Den Rest überließ er Walthers Phantasie und zog sich mit den beschriebenen Blättern in seine eigene Kammer zurück.
    Walther kochte innerlich und wäre Diebold am liebsten gefolgt, um ihn zu ohrfeigen. In seinen Gedanken sah er Gisela diesem Kerl hilflos ausgeliefert und fragte sich, was sie alles hatte ertragen müssen. Mit einem Mal war er davon überzeugt, dass er den Dienst beim Grafen Renitz so bald wie möglich aufkündigen und dessen Ländereien verlassen musste, sonst würde er sich eines Tages an Diebold vergreifen. Aber auch Gisela durfte er nicht in dessen Klauen lassen.
    Irgendwo würde er eine Existenz für sie beide aufbauen, und wenn dies wegen der vielen Einschränkungen auf deutschem Boden nicht möglich war, musste er eben nach Amerika gehen. Vielleicht konnte er sich Stephan Thode anschließen, wenn dieser tatsächlich beschloss, Deutschland den Rücken zu kehren, um jenseits des Ozeans ein neues Leben zu beginnen.
    Doch als er am nächsten Tag Stephan über den Weg lief, wirkte dieser seltsam in sich gekehrt.
    »Bist du krank?«, fragte er anstatt eines Grußes.
    Sein Freund schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist über Weihnachten gestorben.«
    »Das tut mir leid!« Walther ergriff Stephans Hand und hielt sie einen Augenblick fest.
    »Jetzt hat meine Mutter nicht das Geld, mich weiter studieren zu lassen. Sie will sich an meinen Onkel wenden und hofft, dass er mich protegiert. Tut er es nicht, muss ich Göttingen nach diesem Semester verlassen.«
    So schlimm die Aussichten auch für Stephan selbst sein mochten, für Walther waren sie verheerend. Wenn sein Freund das Studium abbrechen musste, würde dieser auch niemals genug Geld zusammenbringen, um den Weg in die Neue Welt antreten zu können. Seine Hoffnung, gemeinsam mit ihm auszuwandern, war

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