Das goldene Ufer
Fahrt? Das müsstest du schon selbst tun.«
»Ihr wisst genau, dass ich weder das Geld für die Reise noch für ein Zimmer in einem Gasthof besitze!« Walthers Stimme bebte.
Diese Gemeinheit, sagte er sich, kam gewiss von Diebolds Mutter. Wäre Medard von Renitz noch bei guter Gesundheit, hätte er dies niemals zugelassen. Doch was sollte er tun? Er überlegte, die Strecke nach Renitz zu Fuß zurückzulegen wie ein wandernder Handwerksbursche. Um unterwegs nicht zu viel Geld auszugeben, würde er sich jedoch stark einschränken müssen. Das Wasser aus einer Quelle löschte den Durst genauso gut wie Bier. Auch konnte er bei warmem Wetter im Freien schlafen und damit die Übernachtung sparen.
Der unerwartet entschlossene Zug auf Walthers Gesicht passte Diebold nicht. Doch als er fragte, was dieser nun zu tun gedachte, erntete er nur ein Schulterzucken.
»Das werde ich sehen. Ich wünsche Euer Hochwohlgeboren eine gute Reise nach Pyrmont!« Damit stand Walther auf, nickte der Witwe freundlich zu und ging nach oben. Noch während er überlegte, was er auf die Wanderschaft mitnehmen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und Diebold platzte herein.
»Ich habe es mir anders überlegt! Du kommst mit mir und kannst dich als mein Kammerdiener nützlich machen.«
Walther widerstand dem Wunsch, sein Gegenüber zu erwürgen. Gerade hatte er sich darauf zu freuen begonnen, Gisela, aber auch Frau Frähmke, Cäcilie und Förster Stoppel wiederzusehen, da kam ihm der junge Renitz erneut in die Quere.
»Sorgen Euer Hochwohlgeboren auch für eine entsprechende Livree?«, fragte er und brachte Diebold damit in Bedrängnis.
Der junge Renitz wusste nur zu gut, dass sein Vater es niemals zulassen würde, wenn er Walther offen zu seinem Diener machte. Daher schüttelte er den Kopf. »Das braucht es nicht. Schließlich bist du kein ausgebildeter Kammerdiener. Doch für die nötigen Handreichungen wird es wohl reichen.«
Walther rang mühsam seine Wut nieder. Was fiel Diebold ein, ihn so zu demütigen? Aber so war er immer schon gewesen. Nur zu gut erinnerte Walther sich daran, wie Diebold damals in Flandern Gisela und deren Mutter rücksichtslos in den Schlamm gestoßen hatte.
Wut und Verachtung halfen ihm jedoch nicht weiter. Noch war er auf das Wohlwollen des Grafen Renitz angewiesen, und so füllte er seinen Reisekoffer mit Ersatzwäsche und seinen Büchern. Dabei tröstete er sich damit, dass er auf dieser Reise wenigstens nicht gezwungen war, Diebolds Gepäck hinter seinen Sattel zu schnallen. Die Pferde waren bereits im letzten Herbst nach Renitz zurückgebracht worden, und auf einem Mietpferd würde der junge Renitz niemals reiten. Also blieb nur die Postkutsche. Doch so wie Walther Gräfin Elfreda einschätzte, würde sie ihren Sohn mit der Extrapost reisen lassen.
3.
G isela hatte sich vor der Zeit gefürchtet, in der der junge Herr Ferien hatte, und atmete daher auf, als Frau Frähmke ihr mitteilte, Graf Diebold würde diese bei seinen Eltern in Pyrmont verbringen.
»Um Seine Hochwohlgeboren tut es mir ja nicht leid«, sagte sie zur Mamsell. »Aber was ist mit Walther?«
»Wenn er Graf Diebold nicht nach Pyrmont begleiten muss, kommt er vielleicht hierher. Ich traue ihm zu, den Weg zu Fuß zurückzulegen. Länger als sechs Tage dürfte er nicht unterwegs sein.«
Gisela deutete auf den Kalender. »Sechs Tage? Dann müsste er nächsten Donnerstag ankommen.«
»Oder Freitag, wenn er in Göttingen noch etwas zu erledigen hat«, schränkte die Mamsell ein.
Frau Frähmke konnte nicht ahnen, dass Gisela all ihre Hoffnungen auf diese beiden Tage setzte. Warum sie Walthers Ankunft so herbeisehnte, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Doch wenn sie an ihn dachte, spürte sie ein warmes Gefühl in der Brust, und manchmal sagte sie sich, dass sie ihr Gesicht wahrscheinlich nicht so wegdrehen würde wie bei Graf Diebold, falls Walther sie zu küssen versuchte.
Dieser Gedanke erschien ihr im nächsten Moment sündhaft, und sie fragte sich, was Schwester Magdalena wohl dazu gesagt hätte. Gisela bedauerte es von Tag zu Tag mehr, dass sie keinen Kontakt mehr zu der Nonne hatte. Wohl konnte sie auch mit Cäcilie über vieles reden, aber nicht über die Gefühle, die sie für Walther empfand.
Die nächsten Tage durchlebte sie in fiebriger Erwartung und lief am Donnerstag stets nach draußen, wenn sich in der Ferne ein Wanderer zeigte. Die meisten jedoch gingen am Schloss vorüber, und wer Renitz aufsuchte, hatte entweder ein Anliegen
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