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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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die Schlachtreihe der Renitzschen zu.
    »Zweites Glied vortreten! Legt an! Gebt Feuer!«
    Erneut klang eine Salve auf, aber diesmal schossen die Franzosen zurück.
    Walther spürte, wie etwas an seinem linken Ohr zupfte, achtete aber nicht darauf, sondern starrte auf Hauptmann Ramp und etliche Dutzend Soldaten, die lautlos umfielen, als wären es Schachfiguren, die eben geschlagen worden waren.
    »Standhalten!«, brüllte der Oberst, denn schon wollten die ersten Männer zurückweichen. Die Unteroffiziere hieben mit ihren Stöcken auf die Soldaten ein, um sie wieder auf ihre Posten zu treiben.
    »Reihen schließen!« Das war Giselas Vater, der Wachtmeister. Auf seinen Befehl hin rückte die bereits ausgedünnte Linie zusammen, und ihre nächste Salve riss ein Loch in das Zentrum der heranmarschierenden Franzosen.
    »Weiter so!« Oberst Renitz winkte dem zweiten Glied, aufzurücken und ebenfalls zu feuern.
    Doch es war ein ungleicher Kampf. Die Franzosen waren in der Überzahl und wollten mit aller Kraft den schützenden Wald erreichen. Ihr Musketenfeuer hätte Graf Renitz’ Männer mit wenigen Salven hinwegfegen können, doch die meisten hatten ihr Pulver bei dem erbitterten Anrennen gegen die englischen Truppen verschossen. Dennoch rissen ihre Kugeln große Lücken in Walthers Regiment. Die Überlebenden rückten näher und näher zusammen. Nicht lange, da sah Walther Reint Heurich neben sich stehen. Dieser lud und feuerte, so schnell er konnte. Dabei fluchte er in einer so unflätigen Weise, dass dem Regimentspastor, der sich im Wald versteckt hatte, die Ohren klingen mussten.
    Zu Walthers Verwunderung hielt ihr kleines, rasch dahinschmelzendes Häuflein immer noch stand. Nun waren die ersten Franzosen den hartnäckigen Widerstand leid und umgingen die Reste des Regiments. Ein Bataillon marschierte jedoch mit gefälltem Bajonett direkt auf sie zu. Noch immer krachten einzelne Schüsse. Walther sah, wie Reint Heurich eben den Ladestock aus dem Lauf nahm und wegstecken wollte. Da kippte der Soldat ohne einen Laut um und blieb regungslos vor ihm liegen. Gleichzeitig wieherte der Hengst des Obersts schmerzerfüllt auf und stürzte zu Boden. Das Tier wälzte sich im Todeskampf und begrub seinen Reiter unter sich.
    Vor Entsetzen erstarrt, sah Walther einen französischen Grenadier mit gefälltem Bajonett vor Medard von Renitz auftauchen, der hilflos eingeklemmt unter dem Pferdekadaver lag.
    Der Junge begriff, dass der feindliche Soldat den Oberst gleich aufspießen würde. Ohne nachzudenken, ließ er die Trommelstöcke fallen, packte Heurichs Muskete, richtete den Lauf auf den Franzosen und drückte ab.
    Der Rückstoß der schweren Waffe warf ihn rücklings zu Boden. Dennoch konnte er das kleine, schwarze Loch auf der Brust des Mannes erkennen, das rasch von einem roten Ring gesäumt wurde. Dann brach der Franzose mit einem Gesichtsausdruck in sich zusammen, als könne er nicht glauben, was mit ihm geschah.
    Es war der letzte Schuss, der aus einer Muskete des Regiments Renitz abgefeuert worden war, denn im nächsten Augenblick fegten preußische Dragoner heran und warfen die Franzosen zurück. Wer von den Renitzschen Soldaten noch am Leben war, sah untätig zu und versuchte zu begreifen, dass er noch lebte. Endlich rafften sich einige Soldaten auf und befreiten den Oberst aus seiner misslichen Lage.
    Fähnrich Diebold von Renitz hatte das Gemetzel ebenfalls überstanden und stieg mit steifen Bewegungen von seinem Pferd. Statt zu seinem Vater zu eilen, der wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war, sah er sich um. Nicht weit von ihm lag ein französischer Offizier. Rasch trat er zu dem Mann, stellte sein Pferd so, dass es ihn und den Toten verdeckte, und beugte sich über den Gefallenen. Kurz darauf hielt er dessen Geldbörse in der Hand. Sie war schwer, und als er sie schüttelte, vernahm er den verlockenden Klang gemünzten Goldes. Schnell steckte der Fähnrich die Börse ein und ging zu den anderen Offizieren hinüber, die sich um den Oberst versammelt hatten.
    Verwundete schluchzten und schrien, doch es dauerte eine Weile, bis einige Soldaten ihre Erschöpfung überwanden und begannen, ihren Kameraden zu helfen. Ihnen blieb nicht viel Zeit, denn vom Osten her legten sich die Schatten der Dämmerung über das Land, und kurz darauf deckte die Nacht das Schlachtfeld mit ihrem schwarzen Leichentuch zu.
    Walther meinte immer noch den Franzosen vor sich zu sehen, den er getötet hatte. Auch wenn dieser ein Feind

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