Das Gottesmahl
der Nationale
Verkehrssicherheitsausschuß in dieser Hinsicht einer Meinung.
Aber natürlich sind wir kein trockenes Schiff. Nach bisherigen
Erfahrungen beurteilt, schätze ich, daß wir trotz des
Verbots ungefähr ein Dutzend Großflaschen Wein, 30
Kästen Bier und 50 Flaschen harter Getränke mitführen.
Im Laufe der Jahre ist mir aufgefallen, daß Rum besonders
beliebt ist. Piratenphantasien, glaube ich. Für mich habe ich
vier 0,75-1-Flaschen Meskal im Kartenraum versteckt, direkt unter den
Karten Madagaskars.
Bislang haben wir nur eine geringfügige Schlappe einstecken
müssen. Vom Vatikan sollte uns die Auslese des Filmarchivs
zugestellt werden, aber entweder sind die Rollen nie eingetroffen,
oder die Karmeliterinnen haben sie einzuladen vergessen, und der
einzige Film, den wir an Bord haben, ist eine 35-mm-Breitwandfassung
von Die Zehn Gebote. Da befindet sich nun ein duftes Bordkino
auf dem Schiff, und es kann nur ein Film gezeigt werden. Es ist kein
schlechter Streifen, aber ich vermute, daß wir lange vor der
fünfzigsten Vorführung Tomaten an die Leinwand
schmeißen.
Zum Ausgleich sind allerdings vier oder fünf Videogeräte
und Dutzende Videokassetten mit Titeln wie Das schärfste
Luder von London vorhanden. Auch der famose Caligula ist
dabei. Aber mehr oder weniger läßt diese Auswahl rund die
Hälfte der Männer und fast alle Frauen kalt.
»Wie kann man sich nur so eine Scheiße anschauen?« fragt Dolores Haycox bei jedem Mal.
»Es ist nicht so wie Sie denken«, sage ich, obwohl ich
nicht genau weiß, was sie denkt.
»Ich glaube, ich beschwere mich bei der Karpag«, kündet Lianne Bliss regelmäßig an. »So eine
Videosammlung läuft auf sexuelle Belästigung
hinaus.«
»Vielleicht sollten Sie sich Pater Ockhams Videokamera leihen
und Ihre eigenen, feministischen Pornos drehen«, schlage ich
gelegentlich vor. »Rafferty und ich ziehen Sie aus.«
»Sie schnallen’s einfach nicht, was?« meint
Haycox.
Wenn ich Rafaels Feder aus meiner Seemannstruhe hole und
betrachte, wird mir jedesmal klar, daß der Engel recht hatte.
Mein Vater ist der einzige, der mir über die Maragorda-Bucht
hinweghelfen kann – nur mein Vater, sonst niemand, kommt
dafür in Frage. Man frage mich nicht warum: Es verhält sich
eben so. Ich habe mir überlegt, daß wir die Rückfahrt
über Spanien durchführen. Ich werfe in Cádiz Anker,
gebe der Besatzung Landurlaub und nehme den Zug nach Valladolid.
Ich hab’s geschafft, Vater, werde ich zu ihm sagen. Ich habe
den Auftrag erfüllt.
Obwohl ihn von den Nullnull-Koordinaten noch ein halber Ozean
trennte, rang Pater Thomas Ockham dennoch bei Tag und Nacht mit der
Frage, welche letztendliche Bedeutung dem Corpus Dei beigemessen werden mußte. Abgesehen von den Informationen,
die Rom ausdrücklich zu haben wünschte – Kurs,
Geschwindigkeit, Position, voraussichtliche Ankunft im Suchgebiet
–, übermittelte er mit seinem täglichen Fax soviel an
spekulativer Theologie, wie er den Kardinälen zumuten zu
dürfen glaubte.
Beim ersten Eindruck, Eure Eminenz, schrieb er an di Luca, ist
Gottes Tod eine himmelschreiende, deprimierende Angelegenheit. Aber
entsinnen Sie sich an den geistigen Gewinn, den gewisse Denker der
fünfziger und sechziger Jahre aus der Vorstellung von Gottes Tod
erarbeitet haben? Insbesondere meine ich Roger Miltons Post
Mortent Dei und Martin Bubers Gottesfinsternis. Gewiß, diese Männer hatten keinen echten Leichnam
vorzuweisen (bis jetzt haben wir auch noch keinen). Trotzdem bin ich
der Ansicht, daß wir, sobald wir wieder über unsere
zeitweilige Verzweiflung hinausblicken, so manche Überraschung
erleben. Auf gewisse Weise ist dieser Vorfall eine großartige
Bestätigung alles Jüdisch-Christlichen (falls ich diesen
albernen, oxymoronischen Begriff verwenden darf), ein Beweis
dafür, daß wir die ganze Zeit hindurch wirklich einen Gott
hatten. Nach meiner Überzeugung können aus einer fundierten
Theothanatologie erstaunliche spirituelle Einsichten gewonnen
werden.
Lieber Professor Ockham, antwortete di Luca, gegenwärtig
interessieren wir uns nicht für Martin Buber oder andere
atheistische Eierköpfe. Wir interessieren uns für Anthony
van Horne. Haben wir den Richtigen erwählt, Pater? Vertraut die
Besatzung ihm? War sein Entschluß klug, Hurrikan Beatrice zu
durchqueren, oder voreilig?
Thomas beschwichtigte de Lucas Sorgen, so gut es ging: Unser
Kapitän versteht sein Handwerk, nur befürchte ich manchmal,
sein Eifer könnte die Sache
Weitere Kostenlose Bücher