Das Gottesmahl
ganze beschissene kleine Insel
gehörte ihr: Ihrer Königlichen Hoheit Cassie Fowler,
Herrscherin über das Guano.
Schwarm um Schwarm schwangen sich Zugvögel herab, Kormorane
hockten sich unverfroren auf Cassies Schulter, dreiste
Baßtölpel zupften an ihren Haaren. Ungeachtet all des
Grausens und Elends wünschte sie sich, ihre Schülerschaft
könnte jetzt diese Vögel sehen; sie hätte nichts
dagegen gehabt, eine Unterrichtsstunde über die Familie der Sulidae im allgemeinen und den Blaufußtölpel im
besonderen einzuschieben. Der Blaufußtölpel war ein Vogel
mit Grips. Während sein Verwandter, der Rotfußtölpel,
die Eier in ein herkömmliches Nest unterhalb eines Baumwipfels
legte, begnügte sich der Blaufußtölpel mit einer
arbeitssparenden Nestdarstellung , einer pfiffigen Abstraktion,
indem er einen Kreis aus Kot auf den Untergrund schiß. Cassie
mochte den Blaufußtölpel sehr, nicht nur wegen seiner
Familienpolitik (die Männchen leisteten beim Brüten und bei
der Brutpflege einen angemessenen Beitrag), sondern auch, weil er ein
Tier war, das wußte, die Unterschiede zwischen Leben, Kunst und
Scheiße galten weniger, als die Welt gemeinhin glaubte.
Auf allen Seiten der Insel vollzog sich der rücksichtslose
darwinistische Lebensrhythmus: Krebse verzehrten Plankton,
Baßtölpel verschlangen Krebse, große Fische
fraßen kleine Fischchen, eine ewige Orgie des Tötens,
Schmausens, Verdauens und Ausscheidens. Noch nie hatte Cassie sich so
leibhaftig nah an der grausamen Wahrheit der Evolution gefühlt.
Das hier ist die Natur, dachte sie, wirkliche Natur, rot die Kralle,
weiß die Kacke, sämtlicher Sentimentalitäten und
aller Verklärung entblößt, so rhapsodisch wie eine
Frostbeule, so romantisch wie Fußpilz.
Mit letzter Kraft verscheuchte Cassie die Vögel, dann kauerte
sie sich, als hätte sie vor, ihn zu erhöhen, auf den
nächsten Dunghaufen. Ihre Zunge glich einem Stein. Zum Weinen
war ihr Körper längst zu ausgedörrt. Ich fange auf
keinen Fall jetzt noch an, schwor sie, während sie über das
weite, flache Meer ausblickte, gläubig zu werden.
Vielleicht jedoch stimmte es wirklich, daß sich auch
Atheisten ihr Hintertürchen bewahrten. »Helft mir«,
heulte Cassie, kurbelte am Schwengel des Funkgeräts. »O
Gott, helft mir«, stöhnte die verhinderte Darwinistin. »Beagle ist ein blöder Name für ’n
Schiff«, stöhnte sie. »Beagle sind Hunde, keine
Schiffe… Hier spricht Cassie Fowler. Ich sitze auf Saint
Paul’s Rocks fest. O Gott, bitte helft mir…«
4. Juli
Heute feiert unsere schmucke Republik Geburtstag. Breite:
20°9’N. Länge: 37°15’W. Kurs: 170.
Geschwindigkeit: 18 Knoten. Seit New York zurückgelegte
Entfernung: 1106 Seemeilen.
Wüßte ich es nicht besser, würde ich sagen, Jehova
selbst hätte den Hurrikan geschickt. Wir haben ihn nicht nur
recht gut überstanden, zudem sind wir von ihm mit 40 Knoten 184
Seemeilen weit vorangeweht worden, so daß wir jetzt dem
Zeitplan um fast einen Tag voraus sind.
Ein beladener Tanker hätte wahrscheinlich die Wogen
durchpflügen können, aber wir mußten uns
buchstäblich mit ihnen bewegen – volle Pulle in den
Wellentälern, ganz langsam auf den Wellenkämmen, das
übliche Vorgehen. Es entstand soviel Gischt, daß die Wogen
sich ganz weiß verfärbten und das Meer aussah, als
wäre es gestorben. Wir hatten einen fähigen Mann am
Steuerrad – einen Burschen aus Jersey, Neil Weisinger der Name
– und haben uns irgendwie hinein-, durch- und
hinausgekämpft, allerdings ist eine Marisat-Kuppel aufgeplatzt,
steuerbords ein Ladepfosten umgerissen, sind vier Rettungsboote
über Bord gespült und dem Deckhaus fünfzehn Fenster
eingedrückt worden. Außerdem gab es unter den
Besatzungsmitglieder zwei Armbrüche und einen verstauchten
Knöchel.
Auf einer normalen Fahrt ist es mir, wenn die Besatzung sich mit
Alkohol abfüllt und randaliert, meistens möglich, sie
einzuschüchtern, indem ich mit einer Leuchtpistole herumfuchtele
und sie so wieder zur Vernunft bringe. Aber auf dieser Reise
muß die Decksbesatzung, wenn alles planmäßig
verläuft, von einem bestimmten Zeitpunkt an mit diesen
verfluchten Anti-Raubtier-Waffen ausgerüstet werden. Deshalb bin
ich nervös, Popeye. Ein betrunkener Janmaat und ein
T-62-Raketenstartgerät sind eine höchst unerfreuliche
Kombination.
Eigentlich ist Alkohol bei der amerikanischen Handelsflotte
verboten, aber wen schert das schon? Selbstverständlich sind die
Reedereien, die Küstenwache und
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