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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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der
fürchterlichen Äquatorsonne verbrannte Haut glühte
unter der aufgetragenen Noxzema-Schicht. Guter Gott, sie lebte, sie
hatte gesiegt, als Gewinnerin stand sie da, gegen alle Widrigkeiten
hatte sie sich behauptet. »Wieso hab ich keinen Durst?«
    »Wenn Sie nicht ununterbrochen vor sich hingebrabbelt haben,
sind Sie damit beschäftigt gewesen, sich ungefähr fünf
Liter Trinkwasser einzuverleiben«, erläuterte der
Pfaffe.
    Der Kapitän trat ins Licht, hielt Cassie eine helle,
rundliche Mandarine entgegen. Er sah besser aus, als Cassie auf den
ersten Blick bemerkt hatte, war jemand mit der zotteligen,
angeknacksten Männlichkeit, die man bei im Abstieg begriffenen
Schauspielern billiger Fernsehserien beobachten konnte.
    »Hunger?« fragte er.
    »Ich bin völlig ausgehungert.« Cassie schnappte
sich die Mandarine, bohrte den Daumen in ihren Nordpol und
schälte sie. »Habe ich wirklich gebrabbelt?«
    »Eine Menge Zeugs«, antwortete van Horne.
    »Worüber?«
    »Das Tarrytowner College. Wanderratten. Daß Ihr Vater
an Krebs gestorben ist. Und Oliver, nehme ich an, ist Ihr
Freund.«
    Halb erstaunt, halb verdrossen schnaubte Cassie. »Ja,
stimmt.«
    »Sie sind sich unsicher«, sagte der Kapitän,
»ob Sie ihn heiraten sollen.«
    »Wer ist schon jemals sicher?« entgegnete Cassie
trotzig.
    »Niemand, glaube ich.«
    Cassie brach eine Viertelkugel der Mandarine ab und mampfte. Das
Fruchtfleisch schmeckte süß und köstlich, nach Leben.
Sie kostete das Wort, das selige Wort, regelrecht aus: Leben, Leben.
»Ist das Ihre Kabine, Pater?« fragte sie, indem sie auf den
Keramik-Jesus zeigte.
    »Gewesen. Ich bin umgezogen.«
    »Sie haben Ihren Lattenjupp vergessen.«
    »Ich habe das Kruzifix mit voller Absicht an der Wand
gelassen«, lautete Pater Thomas’ dunkelsinnige Antwort.
    »Entschuldigen Sie meine Unwissenheit«, sagte Cassie,
»aber ist es üblich, daß auf Öltankern Priester
mitfahren?«
    »Wir sind auf keiner normalen Fahrt. Vielmehr ist sie
vollkommen außerordentlicher Art. Eschatologischer
Natur.«
    »Sobald wir unseren Auftrag erledigt haben«, versprach
der Kapitän, »bringen wir Sie in die Vereinigten Staaten
heim.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Für die nächsten neun Wochen«, antwortete van
Horne, »sind Sie an Bord unser Gast.«
    Cassie runzelte die Stirn, aus Ärger und Verwirrung wurde ihr
Körper starr. »Neun Wochen? Nein, das geht nicht, Leute,
ich muß Ende August wieder mit dem Unterricht
anfangen.«
    »Tut mir leid.«
    »Bestellen Sie mir einen Hubschrauber.« Ganz langsam,
ähnlich wie ein heldenmütig zur Evolution entschlossener
Fisch sich aufs Trockene geschleppt haben mag, erhob sich Cassie aus
der Koje. Ob sie überhaupt bekleidet war, fragte sie sich erst,
als ihre Füße den roten Plüschteppich berührten.
»Haben Sie gehört?« Als sie an sich hinabschaute, sah
sie, daß man ihren Bikini gegen einen lächerlichen, mit
astrologischen Symbolen verzierten Seidenkimono ausgetauscht hatte.
»Ich hätte gerne, daß Sie für mich ’n
Hubschrauber des Internationalen Roten Kreuzes mieten, je schneller,
desto besser.«
    »Ich habe keine Erlaubnis«, entgegnete der Kapitän,
»dem Internationalen Roten Kreuz unsere Position
bekanntzugeben.«
    »Meine Mutter wird verrückt«, sagte Cassie, die
nicht wußte, ob sie einen Tonfall des Zorns oder der
Verzweiflung anschlagen sollte. »Und Oliver auch.
Bitte…!«
    »Wir gestatten Ihnen eine kurze Nachricht nach
Hause.«
    »Wo steht das Telefon?«
    An van Hornes Stirn traten blaue Adern hervor. »Wir haben
Ihnen kein Telefon zu bieten, Dr. Fowler. Die Valparaíso ist kein Bauernhof, wo Sie reinlatschen und
telefonieren dürfen, wenn Sie ’n Platten haben. Unsere
gesamte Kommunikation wird über die Funkstube oben auf der
Brücke abgewickelt.«
    »Dann bringen Sie mich hin.« Ein altes, bei Cassie
verhaßtes Szenario: Das Patriarchat pochte auf seiner Macht.
(»Ja, Gnädigste, wir werden’s schon schaffen, Ihr
Reduktionsgetriebe zu reparieren, falls Sie überhaupt wissen,
was, zum Teufel, das ist.«) »Und zwar sofort«,
fügte sie hinzu, taumelte vorwärts.
    »Ich glaube, Sie sollten noch nicht durch die Gegend
laufen«, wandte van Horne ein.
    »Möchte jemand von Ihnen mir den Weg zur Brücke
zeigen, oder muß ich ihn mir selber suchen?«
    Der Sonnenbrand schmerzte gräßlich auf Cassies
Rücken und im Nacken, während sie Pater Thomas aus der
Kabine – einen protzigen Raum, getäfelt mit Eiche,
ähnlich wie das Haus, in dem die Philosophische

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